Die Insel der Orchideen
Burdett.
Leah sprang auf und lief in ihrem Zimmer hin und her. Schon wieder war es ihm gelungen, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Burdett kannte sie bereits besser, als ihr lieb war; natürlich wollte sie wissen, was er ihr geschickt hatte. Und seinen Vorschlag wollte sie auch hören.
Sie konnte nicht länger an sich halten und befühlte das Päckchen von allen Seiten, bis sie zu dem Schluss kam, dass es sich um ein Buch handeln musste. Ein lauter Pfiff ließ sie innehalten. Sie ahnte, was es damit auf sich hatte, und tatsächlich stand Burdett unten auf der Straße und tippte grüßend an seine Hutkrempe, als sie die Läden aufstieß.
»Ich lasse mich nicht kaufen!« Leah steigerte sich in eine selbstgerechte Wut. Sie stürmte zurück ins Zimmer, packte das Geschenk und war drauf und dran, es ihm an den Kopf zu werfen.
»Tun Sie das nicht!«, rief er. »Dieses Buch in der Gosse liegen zu sehen, würde mir das Herz brechen.« Damit lüpfte er seinen Hut und ging davon.
Leah starrte ihm sprachlos nach. Eine Weile lang stand sie unschlüssig mit dem Päckchen in der Hand am Fenster, dann riss sie das Seidenpapier auf und hielt kurz darauf ein in grünes Leder gebundenes Buch in den Händen. Ehrfurchtsvoll las sie den Goldaufdruck des Buchrückens:
On the Origins of Species
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Darwin
Eine Woche später saß Leah in einem lärmerfüllten Kopitiam, einem einfachen chinesischen Restaurant, eine Teeschale und mehrere Bälle aus zerknülltem Papier vor sich. Mit gerunzelter Stirn las sie das zuletzt Geschriebene und zerknüllte dann auch dieses Blatt. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass ihr die Ablehnung von Burdetts Vorschlag so schwerfallen würde. Sie hatte ihn seit dem Tag, an dem er ihr das Buch geschenkt hatte, nicht mehr gesehen; offensichtlich hielt er sich von ihr fern, um ihre Entscheidung nicht zu beeinflussen.
Leah nahm einen Schluck Tee. Er war kalt geworden über ihren Versuchen, endlich ihre Entscheidung zu formulieren. Eine Woche Grübeln, und sie war noch immer hin- und hergerissen zwischen ihrem Drang, sich ihre hart erkämpfte Unabhängigkeit zu erhalten, und dem Wunsch, Burdetts Angebot anzunehmen. Unbewusst fuhr ihre Zunge zu der Zahnlücke, die ihr an Bord des Schmuggelschiffs geschlagen worden war. Eine deutliche Warnung, nicht zu vertrauensselig zu sein. Aber genau das war der springende Punkt: Sie vertraute Burdett. Sie ahnte, dass sein Interesse weiter ging als das, was er ihr vorschlug, aber gleichzeitig wusste sie, dass er die ihm gesetzten Grenzen niemals überschreiten würde.
Boon Lees Gesicht zog vor ihrem inneren Auge auf. Sie versuchte, es festzuhalten, doch vergeblich. Schon seit einiger Zeit hatte sie voller Wehmut erkannt, dass ihre Erinnerung immer unschärfer wurde; zu viel war geschehen, seit sie einen letzten glücklichen Nachmittag mit dem geliebten Mann verbracht hatte. Zwei Jahre und einen Monat war das nun her. Ob er manchmal an sie dachte?
Leah pustete in die Schale mit frischem Tee, die ein Kellner ihr ungefragt gebracht hatte, und verfolgte das Wirbeln und Strudeln des heißen Dampfes. Sie schuldete Boon Lee nichts, im Gegenteil. Er war mit seinem Leben vorangeschritten, und das musste sie auch tun.
Sie lachte bitter auf. Sie wollte sich ihre Unabhängigkeit bewahren? Damit war es nicht weit her. Sie hatte am eigenen Leib erfahren müssen, wie sehr sie auf den Schutz und das Wohlwollen anderer, insbesondere der Männer angewiesen war. Auch hier in Penang musste sie ständig ihren Stolz herunterschlucken und reichen Leuten schmeicheln, um Essen und Zimmer bezahlen zu können. Wie es weitergehen sollte, wusste sie bis heute nicht.
Und nun kam Burdett mit seinem verlockenden Angebot. Leah hob den Kopf. Sie hatte sich eine ganze Woche mit der Entscheidung herumgequält? Wie dumm von ihr. Es gab nur eine Antwort. Sie breitete ein neues Blatt Papier vor sich aus, tunkte die Feder in die Tusche und schrieb, ohne abzusetzen, einige Sätze. Sobald die Tusche getrocknet war, faltete sie das Blatt zusammen und bat den Kellner, jemanden zu holen, der das Schreiben ins
Eastern & Oriental
brachte.
* * *
Penang am 4 . Juli 1861
Bertrand Burdett,
wie können Sie es wagen, mir ein gebrauchtes Buch zu schenken, noch dazu eines, das von seinem Vorbesitzer offenbar über alle Maßen geschätzt wurde und dementsprechend zerlesen und zerfleddert ist? Sie haben obendrein die interessanten Stellen am Rand kommentiert, so dass ich keinen Platz
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