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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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auf die Erde gelassen worden. Als sie endlich die Büsche umrundete, sah Amelia eine Horde Affen in wilder Flucht davonstieben. Die Amah lag um sich schlagend am Boden, während der ältere Offizier sich über ein blau-weißes Bündel beugte, das Amelia als Wilsons Anzug erkannte. Außer sich vor Sorge stieß sie den jungen Offizier beiseite und fiel neben ihrem leblosen Sohn auf die Knie. Ein Makakenmännchen lag kaum zwei Fuß neben ihm in seinem Blut, die furchterregenden gelben Zähne noch im Tod gebleckt. Amelia schrie gellend auf.
    Die Offiziere übernahmen das Kommando. Einer der Spaziergänger, die beim ersten Schrei ebenfalls zum Unglücksort geeilt waren, wurde gebeten, einen Arzt aufzutreiben und zum Anwesen der Farnells zu senden. Dann nahm der ältere Offizier den blutenden, von vielen Bisswunden übersäten Jungen auf den Arm und hastete zum Parkausgang, um die nächstbeste Kutsche zu rekrutieren.
    »Sie sollen warten!«, rief Amelia. »Ich darf doch meinen Jungen nicht alleinlassen!«
    »Je schneller er Hilfe erhält, desto besser«, sagte der jüngere Offizier, der bei Amelia geblieben war. »Aber kommen Sie.«
    »Wo ist Oscar?«
    »Hier.« Oscars Amah trat neben sie. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben, ebenso wie Wilsons Amah, die mühsam neben der Gruppe herhumpelte. Auch sie hatte tiefe Biss- und Kratzwunden in Armen und Beinen, eine sogar an der Schulter, wo ihr Kleid in Fetzen hing, und eine grässliche Fleischwunde in der Wange. Sie hätte vor Schmerzen schreien müssen, doch der Schock machte sie unempfindlich. Immer wieder schlug sie sich vor die Brust und stieß rohe Verzweiflungslaute aus, bis Amelia es nicht mehr aushielt.
    »Sei endlich still«, zischte sie. »Es ist alles deine Schuld.«
    »Mrs Farnell«, wagte der Offizier einzuwerfen, »als wir um die Ecke bogen, lieferte sich Ihre Amah einen todesmutigen Kampf mit dem Affen. Sicher wäre sie zerfleischt worden, hätte mein Kamerad das Biest nicht erschossen. Sie ist eine sehr mutige Frau, sich mit Makaken anzulegen.«
    »Mischen Sie sich nicht ein! Sie soll sich nie wieder in der Nähe meiner Kinder blicken lassen.«
    Der brüskierte Mann verstummte. Am Ausgang schob er Amelia in die wartende Kutsche der Farnells, die Amah mit Oscar hinterdrein, und schloss den Schlag. Im Abfahren sah Amelia noch, wie er Wilsons strauchelnde Amah auffing und aufgeregt nach einer weiteren Kutsche rief. Vielleicht war sie der Chinesin gegenüber, die sie bisher als durchaus zuverlässig kannte, ungerecht gewesen, doch es war nicht mehr zu ändern. Ihr Sohn! Nur ihr Sohn zählte!
    * * *
    Johanna fand Henry, mit seinem Komprador Mr Ferguson debattierend, vor seinem Kontor. Sie raffte ihre Röcke und eilte zu den Männern. Das Aufleuchten in Henrys Augen, als er sie bemerkte, versetzte Johanna einen Stich. Was hatte sie erst vor einigen Monaten zu Ross Bowie gesagt, bei der Feier zu Colonel Cavenaghs Verabschiedung? Henry und sie seien nur Freunde? Es war Unsinn, und Bowie wusste es. Sie liebte Henry. Ihre Freundschaft war nur ein Ersatz für etwas, das ihnen für immer verwehrt blieb.
    Heute beschäftigte sie allerdings etwas anderes. Friedrich war, wieder einmal, abwesend, während bei
Von Trebow Trading
alles drunter und drüber ging. Es war so weit gekommen, dass Franklin Cameron, Friedrichs junger Assistent, nach ihr geschickt hatte, damit sie dringend fällige Entscheidungen traf – was ihr unmöglich war, zu wenig wusste sie über die Abläufe und Fallstricke des Geschäfts. Nun rächte sich, dass sie sich nicht stärker um die Belange der Firma gekümmert hatte. Zu Anfang ihrer Ehe hatte sie Friedrich mehrfach gebeten, ihr das Geschäft zu erklären, sich aber immer wieder von ihm einlullen lassen, wenn er behauptete, er habe alles im Griff, sie solle doch froh sein, sich nicht mit den oft ruppigen Gepflogenheiten der Händler auseinandersetzen zu müssen. Später, in den Jahren des Schweigens, war sie froh gewesen, so wenig wie möglich mit ihm zu tun zu haben.
    Sie entschuldigte sich bei den Männern für die Störung. Mr Ferguson, ein hochgewachsener Eurasier, zog sich daraufhin höflich zurück.
    »Du wirkst aufgebracht«, stellte Henry fest.
    »Das bin ich auch.« In kurzen Worten setzte sie ihm das Problem auseinander. Er erklärte sich bereit, sie zu
Von Trebow Trading
zu begleiten. Über Friedrichs Verbleib wusste er nichts, zumindest behauptete er es. Seine ärgerlich zusammengepressten Kiefer verrieten Johanna das

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