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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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wirklich vor ihm saß.
    »Magst du mir von dir erzählen?«, fragte er leise.
    Und sie erzählte. Berichtete von Sulawesi und Sumatra, von den Paradiesvögeln in Neuguinea und der abenteuerlichen Besteigung des Gunung Kinabalu. Der Geschichtenerzähler erfuhr von Bertrand und Thomas, vom Schloss ihrer Schwiegereltern im kalten England, selbst von ihrer kopflosen Flucht mit dem kleinen Thomas. Mit Erleichterung registrierte er das Leuchten in ihren Augen, wenn sie von Mann und Kind sprach. Sie schien es gut getroffen zu haben.
    Sie bat ihn nicht, von sich zu berichten. Es war wohl offensichtlich, dass sich in seinem Leben nichts verändert hatte. »Hast du deine Schwester schon besucht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe es auch nicht vor. Ich will sie nicht sehen.«
    Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Hat dein neues Leben dich nicht nachsichtiger gestimmt?«
    »Nein.« Jetzt zögerte sie doch.
    »Spring endlich über deinen Schatten«, hakte er nach. »Johanna sehnt sich nach dir. Sie hat nie aufgehört, sich Vorwürfe zu machen. Und Sorgen.«
    »Du nennst sie Johanna?« Leah hob die Augenbrauen. Täuschte er sich, oder schwang Eifersucht in ihrer Stimme?
    »Deine Schwester kümmert sich um kranke Frauen hier im Viertel. Ich begleite sie oft. Ihr Chinesisch ist nie so gut geworden wie deins.«
    Leah ließ seine Rede unkommentiert, doch er sah, wie es in ihr arbeitete. Die Saat war gelegt, nun musste sie nur noch aufgehen.
    »Wie lange werdet ihr in Singapur bleiben?«
    »Nur noch drei Tage.«
    Er schwieg. Wie gern hätte er ihr von Lily erzählt, aber er durfte Johanna nicht vorgreifen. Ja, er wusste alles. Im Laufe des letzten Jahres hatten er und Johanna von Trebow sich einander langsam angenähert. Er bewunderte ihr selbstloses Engagement, ihre Unerschrockenheit, wenn es darum ging, schwärende Wunden zu verbinden, Sterbenden Trost zu spenden, sich, wenn es nottat, sogar mit Hoey-Mitgliedern und Mamasans anzulegen. Und dann, vor wenigen Monaten, hatte er sie heulend auf seiner Türschwelle gefunden. Er hatte immer geahnt, dass ihre Arbeitswut nicht nur reiner Nächstenliebe entsprang, sondern auch einen Kummer betäubte, der nicht allein auf den Verlust der Schwester zurückzuführen war. Er dachte, sie litte unter dem Lebenswandel ihres Mannes, doch was dann aus ihr herausgebrochen war, hatte ihm die Sprache verschlagen.
    Leah erhob sich zögernd. »Ich muss gehen. Mein Mann erwartet mich.«
    »Ich hoffe, es vergehen nicht wieder so viele Jahre, bis wir uns wiedersehen. Ich bin ein alter Mann.«
    »Ich kann es nicht versprechen, lieber Onkel Koh.«
    »Leah?«
    Sie drehte sich noch einmal um.
    »Ich bitte dich, geh zu Johanna. Es ist wichtig. Sehr wichtig.«
    »Ich denke darüber nach. Aber es ist nicht leicht, eine Entscheidung zu treffen. Bitte erzähle ihr nichts von meinem Besuch.«
    Dann war sie fort. Koh Kok kippte Leahs unangetasteten Schnaps hinunter. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit gefunden, sie vom Tod der Mutter zu unterrichten.
    * * *
    »So, wir sollten alles eingepackt haben, was wir brauchen.« Ping inspizierte ein letztes Mal den Inhalt der Körbe und Taschen, die sich in ihrer Küche aufreihten. »Kehren wir bei Apotheker Ah ein?«
    »Unbedingt«, antwortete Johanna. »Zwar hat der Doktor mir einige Medikamente gegeben, aber du weißt ja, wie misstrauisch deine Landsleute sind, wenn es um die weißen Teufel geht.«
    »Mag sein. Aber Sie sind ein Engel«, sagte Ping und brach unvermittelt in Tränen aus.
    Johanna fasste sie erschrocken bei den Schultern. Nie hatte sie Ping weinen sehen.
    »Habe ich etwas falsch gemacht? Um Himmels willen, habe ich dich mit einer Äußerung verletzt?«
    »Nein, nein.« Erneut wurde Ping von einem Schluchzen geschüttelt, doch erstaunlicherweise lachte sie dabei. Verwirrt fasste Johanna die Chinesin, die ihr im Laufe der Jahre so viel mehr geworden war als eine Dienerin, unterm Arm und führte sie hinaus zu dem Tisch unter der Tamarinde. Pings Weinen verebbte.
    »Ja, also«, druckste sie herum, »ich weiß nicht so recht, wie ich anfangen soll.«
    Johanna wartete geduldig.
    »Ich war beim Astrologen«, platzte Ping heraus.
    »Und was haben die Sterne dir verraten?«
    »O Mem! Ich war mit Lim dort.«
    Johanna blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Sie begriff, was Ping ihr mitzuteilen versuchte. »Wann?«, fragte sie nur.
    »Im November.«
    »Und wann habt ihr … ich meine, seid ihr denn verliebt?«
    »Liebe ist etwas für Träumerinnen, die

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