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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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bereit sind, unendliches Leid zu ertragen. Chinesen sind da pragmatischer. Wir mögen uns. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können.«
    Johanna zuckte zusammen. Ping wusste selbstredend nichts von ihren Gefühlen für Henry, andererseits verbrachte Johanna mit niemandem mehr Zeit als mit ihr. Hatte sich Ping ihren Teil gedacht? Sie drängte die unangenehmen Gedanken beiseite.
    »Was habt ihr vor?«, fragte sie. »Bleibt ihr bei uns?«
    »Wir hatten eigentlich schon vor längerer Zeit geplant zu heiraten, doch es ging Ihnen so schlecht. Es war keine gute Zeit, Sie alleinzulassen.«
    »Ihr habt mit dem Heiraten gewartet, weil es mir nicht gutging?«
    Ping zuckte die Achseln. »Natürlich. Lim und ich, wir lieben Sie.«
    Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte Johanna. »Geht ihr zurück nach China?«
    »Nein. Wir hätten zwar genug gespart, aber wir haben uns entschieden, hierzubleiben. Die britischen Gesetze sind viel gerechter als die chinesischen. Wenn wir uns in Singapur etwas aufbauen, gehört es wirklich uns.«
    »Da bin ich aber erleichtert. Wollt ihr ein Restaurant eröffnen?«
    »Nein.«
    »Eine Tischlerei?«
    »Das war unsere erste Idee.«
    »Was dann?«
    »Apotheker Ah verkauft uns sein Geschäft, im Gegenzug kümmern wir uns um ihn, da er keine Familie hat. Eigentlich hatte er die Apotheke an seinen Assistenten abgeben wollen, aber der ist ja vor drei Jahren gestorben.«
    »Endlich verstehe ich, warum deine Besorgungen in Telok Ayer immer so lange gedauert haben. Ach, Ping! Ich freue mich für euch!«
    In diesem Moment wirbelte Lily um die Hausecke und rief freudestrahlend, Miss Ryan habe sich nicht wohl gefühlt und alle Schülerinnen für heute nach Hause geschickt. Dann bemerkte sie, dass Johanna und Ping ausgehfertig waren. Sofort war alles andere vergessen.
    »Fahrt ihr zu Onkel Koh?«, fragte sie erwartungsvoll.
    »Ja. Wir wollen nach einigen kranken Frauen sehen.«
    »Wartet, ich ziehe nur schnell die Schuluniform aus.« Und fort war sie.
    Johanna und Ping lauschten ihren Schritten auf der Treppe, dann rumorte es in dem Zimmer über ihnen.
    »Wir können sie nicht mitnehmen«, sagte Johanna. »Sie ist noch zu klein, um mit den Freudenmädchen in Kontakt zu kommen.«
    »Lily ist ein ungemein verständnisvolles und hilfsbereites Kind. Ich denke, sie kann damit umgehen. Sie wissen doch, dass sie die Lady mit der Lampe glühend verehrt, wie heißt sie noch?«
    »Florence Nightingale.«
    »Ja, die meine ich. Sie sollten ihr erlauben, uns zu begleiten.« Ping erhob sich. »Ich laufe zur Middle Road und besorge uns eine Mietdroschke.«
    Wenig später traten Johanna und Lily, beladen mit den vorbereiteten Körben und Taschen, aus dem Gartentor. Schon kam ein Palanquin mit heruntergelassenen Jalousien vorgefahren. Der Kutscher zügelte sein Pferd, ließ es dann aber doch an ihnen vorbeizockeln und hielt vor dem Nachbarhaus, ohne dass der Fahrgast ausstieg. Es war also nicht Ping. Johanna und Lily wandten ihre Aufmerksamkeit wieder in die Richtung, aus der ihre Kutsche kommen musste.
    * * *
    Seit sie in den Indischen Ozean eingefahren waren, hatte Leah unter Alpträumen gelitten. Nach dem Besuch bei Onkel Koh nahmen die Bilder der Vergangenheit an Intensität zu und raubten ihr endgültig den Schlaf. Am Morgen des sechsten Tages in Singapur, dem letzten vor der Abreise nach Batavia, fasste sie den Entschluss, zumindest einen Blick auf den Bungalow in der Waterloo Street zu werfen. Auch wenn sich ihre Haltung der Mutter und Johanna gegenüber nicht verändert hatte, sie noch immer vor allem der Schwester den Verrat nachtrug, stimmten Bertrands und Onkel Kohs Worte sie doch nachdenklich: Nur im Verzeihen läge wahre Größe. Eine Größe, die Leah nicht besaß, zumindest glaubte sie nicht daran.
    Sie bat Bertrand, sich für den Rest des Tages allein um Thomas zu kümmern, und bestellte sich gleich nach dem Frühstück einen Palanquin. Bertrand drückte ihr aufmunternd die Hände. »Ich bin stolz auf dich«, sagte er. »Du wirst nicht bereuen, was du vorhast.«
    Die Kutsche setzte sich in Bewegung. Trotz des Geruckels konnte Leah nicht stillsitzen. Gebannt spähte sie aus dem Wagen, registrierte alle Veränderungen auf dem kurzen Weg zur Waterloo Street. Noch in der Middle Road bat sie den Kutscher anzuhalten. Sie benötigte ein paar Augenblicke Aufschub, hoffte, in letzter Minute Klarheit über ihre Gefühle zu erlangen. Plötzlich packte sie Sehnsucht nach den ihren, nach Johannas Zärtlichkeit

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