Die Insel der Orchideen
selbst Friedrich von Trebow nicht mit allem vertraut schien, schließlich hatte er doch lange genug in den Tropen gelebt? Gerade drehte er ratlos eine kleine, dunkelviolette Frucht in den Händen, bis Henry Farnell ihm zu Hilfe kam. Beherzt presste Farnell die violette Kugel zusammen. Die Schale brach auf und gab das weiße Fleisch frei.
»Eine Mangostan«, bemerkte er.
Sie probierten hartschalige Schlangenfrüchte, zuckersüße Mangos und Guaven, die ein wenig an saure Birnen erinnerten, und lachten über die pinkfarbigen Haare der Rambutan. Bald wartete nur noch eine stachelige Stinkfrucht auf den Verzehr, allerdings vergeblich. Mit ihrem käsigen, schweren Aroma machte sie ihrem Namen alle Ehre, und niemand traute sich an sie heran. Schließlich ergriff Leah die Initiative und forderte Henry Farnell auf, sie zu öffnen. Er stellte sich äußerst geschickt an wie jemand, der das nicht zum ersten Mal tat. Der unangenehme Geruch verstärkte sich noch, doch Johanna wollte Leah in nichts nachstehen, die sich schon eine Portion in den Mund schob und einen Moment später verzückt die Augen verdrehte.
Johanna war ebenfalls begeistert, als sich der zarte Vanillegeschmack des puddingweichen Fruchtfleischs auf ihrer Zunge entfaltete, süß und ein wenig zitronensauer zugleich. Selten hatte sie etwas Delikateres gegessen als diese Durian, die, wie Henry Farnell bemerkte, von den Einheimischen mit dem Ehrentitel »König der Früchte« bedacht wurde.
Johanna lehnte sich in ihren Korbstuhl zurück und fächelte sich Luft zu. Selbst nach Sonnenuntergang war es noch heiß und drückend. Sie schwor sich, so bald wie möglich einige leichte Kleider schneidern zu lassen, in der Art, wie sie von den Damen am Nachbartisch getragen wurden. Versunken sah sie Friedrich von Trebow und ihrem Vater nach, die sich zum Rauchen auf die Veranda zurückzogen. Traurigkeit drohte sie erneut zu überwältigen, und es kostete sie gehörige Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten. Sie war ihrer Mutter dankbar, dass sie so tapfer aushielt, gab es doch Johanna die Gelegenheit, mehr Zeit in Friedrich von Trebows Gesellschaft zu verbringen. Der schöne Abend würde dennoch bald ein Ende haben, und am Morgen mussten er und Farnell zurück auf die
Ganges.
Friedrich von Trebow und der Vater hatten ihre Zigarren gelöscht und kamen zurück. Hermann-Otto Uhldorff zwinkerte Johanna zu und setzte sich, während von Trebow stehen blieb. Er nahm sein Glas und schlug mit einem Löffel dagegen. Der helle Klang brachte alle Gespräche zum Verstummen. Die Gäste an den Nachbartischen wandten in Erwartung einer Rede die Köpfe. Johanna wurde von einer heißen Welle überschwemmt. Plötzlich fügte sich alles: die Verschwörermiene des Vaters. Die von der Mutter angedeutete Überraschung. Friedrich von Trebows übersprudelnde Fröhlichkeit, die ihn den ganzen Tag nicht verlassen hatte. Sie krampfte ihre Hände ineinander, von der plötzlichen Furcht erfasst, sich geirrt zu haben.
»Gnädige Frau, geschätzter Herr Uhldorff«, wandte von Trebow sich mit einer Verbeugung an Johannas Eltern, »eine glückliche Fügung hat mich auf dasselbe Schiff geführt wie Sie. Ich fühle mich geehrt, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, und hoffe sehr, dass sich diese in den kommenden Jahren in echte Freundschaft verwandeln wird.« Er machte eine Pause, die Johanna wie eine Ewigkeit erschien. Die versammelte Dinner-Gesellschaft hielt den Atem an. »Aber weitaus mehr geehrt fühle ich mich durch das Vertrauen, das Sie in mich setzen.« Er verbeugte sich ein weiteres Mal und trat dann neben Johannas Stuhl. Galant bot er ihr die Hand zum Aufstehen. Sie folgte der Aufforderung mit zitternden Beinen. Sie war so aufgeregt, dass sie sich ohne Hilfe nicht hätte erheben können. Friedrich von Trebow blickte sie mit unerwartetem Ernst an, dann ließ er sich vor ihr auf ein Knie nieder.
»Wertes Fräulein Uhldorff, Sie haben mein Herz berührt. Schon als ich Sie zum ersten Mal sah, Ihr liebreizendes Lachen, Ihren offenen Blick, ahnte ich, das Sie mein Schicksal sind. In den Wochen auf See hat sich diese Ahnung in Gewissheit verwandelt: Ich kann und will nicht mehr ohne Sie leben.« Er holte tief Luft, und Johanna erkannte Unsicherheit, sogar Angst vor Zurückweisung in seinem Blick. Er fing sich wieder und hob die Stimme. »Johanna, wollen Sie mich zum glücklichsten Mann auf der großen weiten Erde machen? Wollen Sie meine Frau werden?«
* * *
Nach dem Frühstück am nächsten
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