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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Morgen gelang es Johanna, sich mit Friedrich in den Garten zurückzuziehen, um endlich einen ungestörten Moment zu genießen. Hand in Hand schlenderten sie zwischen den dichten Sträuchern umher, die sie vor neugierigen Blicken von der Veranda verbargen.
    Sie fühlte sich seltsam befangen. Auf dem Schiff waren ihr und Friedrich die Gesprächsthemen nie ausgegangen, doch heute blieben ihr die Worte im Hals stecken. Friedrich schien es ebenso zu ergehen. Unter einem Johanna unbekannten Baum blieb er stehen und betrachtete die wirre Vielfalt der Pflanzen, die Stamm und Geäst ihres Wirts überwucherten. Auch Orchideen waren darunter; in Kaskaden ergossen sich die langen Blätter und strahlend weißen Blüten über die Äste. Er pflückte eine der Blüten und steckte sie Johanna ins Haar.
    »Ich habe mich die ganze Nacht schlaflos herumgeworfen«, sagte er plötzlich mit einer Dringlichkeit, die Johanna noch nie bei ihm erlebt hatte. »Der Gedanke, dich zu verlassen, ist mir unerträglich. Mein Platz ist an deiner Seite.«
    Im ersten Moment wollte sie aufjauchzen. Natürlich hatte auch sie in der Nacht kein Auge zugetan und sich gewünscht, er möge bei ihr bleiben, doch sie wusste im selben Moment, wie unvernünftig dieser Wunsch war.
    Sie sah Friedrich fest in die Augen. »Du verlässt mich doch nicht«, sagte sie. Ihr Herz wurde weit. Dieser aufrechte und ansehnliche Mann würde bald ihr Gatte sein. Frau von Trebow – wie wunderbar sich das anhörte! »Du musst fahren, das bist du deinem Freund Farnell schuldig, aber auch mir. Nutze die ungestörte Zeit für dein Geschäft. Was sind ein paar Wochen, wenn wir ein ganzes Leben zusammen verbringen können?«
    »Meine Zukünftige ist herzloser als ein indischer Geldwechsler«, seufzte Friedrich in gespielter Verzweiflung. »Aber wahrscheinlich hast du recht. Auf ein paar Wochen kommt es nicht an. Ich werde mich in Hongkong nach einer passenden Wohnung für uns umsehen – und nach angemessenen Räumlichkeiten für die Hochzeitsfeier.«
    Johanna konnte sich nicht mehr beherrschen. Bisher waren sie ununterbrochen von Gratulanten umgeben gewesen und hatten keine Minute allein verbringen können. Dabei sehnte sie sich so sehr danach, in Friedrichs Arme zu sinken! Und genau das tat sie jetzt. Er fing sie auf und drückte sie an sich. »Und wenn uns jemand sieht?«, murmelte er.
    »Es ist niemand hier. Außerdem sind wir verlobt. Da ist es nicht so schlimm, wenn du mich küsst.«
    »Du erlaubst mir …?«
    »Schhh.« Bevor der Mut sie verließ, drückte Johanna ihre Lippen auf seinen Mund. Sie waren beide so überrascht von der plötzlichen Intimität, dass sie sich nicht zu bewegen wagten. Johanna öffnete die Lippen, und die Schleusen brachen. Hitze toste durch ihren Körper. Sie hob einen Arm, zog Friedrich dichter an sich heran und küsste ihn noch inniger – musste dieser Kuss doch für die nächsten einsamen Wochen ausreichen.
    Ein Räuspern ließ sie auseinanderfahren. Henry Farnell stand neben einem Bougainvillea-Strauch und blickte betreten zu Boden. »Ich störe nur ungern«, sagte er, ohne Johanna oder Friedrich direkt anzusehen, »aber ich muss Ihnen Ihren Verlobten leider entführen, Miss Uhldorff. Die Barkasse der
Ganges
wird in Kürze anlegen. Wir dürfen sie nicht verpassen.«
    Johanna strich sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr. Friedrich bückte sich nach seinem Zylinder, der ihm vom Kopf gerutscht war. »Danke, Henry«, sagte er mit seltsam kratziger Stimme. »Wir kommen gleich.«
    Henry verstand die Aufforderung. Im Gehen warf er Johanna einen Blick zu, der sie erschaudern ließ. Warf er ihr vor, ihm den Freund zu stehlen? Sie erinnerte sich an eine merkwürdige Szene des vergangenen Abends. In der auf den Antrag folgenden Aufregung hatte sie weder bemerkt, dass ein tropisches Gewitter über Singapur niedergegangen, noch dass Henry nicht zugegen war. Offensichtlich hatte er sich draußen aufgehalten, denn als er ihr endlich gratulierte, war er tropfnass. Er brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, all ihre großen Erwartungen mögen sich erfüllen – in einem Ton, als glaube er nicht daran. Irritiert wartete sie auf Glückwünsche oder ein Lächeln, doch er starrte sie nur an und zog sich dann ohne ein weiteres Wort zurück.
    Friedrich umarmte sie erneut, und während des folgenden Kusses vergaß Johanna die unerfreuliche Episode. Was scherte sie Farnell?
    Wenig später stand Johanna neben ihrem Vater am Ufer des Singapur-Flusses und winkte der

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