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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Barkasse nach. Henry saß mit dem Rücken zum Ufer und würdigte ihr kleines Abschiedskomitee keines Blickes. Friedrichs Gestalt wurde kleiner und kleiner, und dann verschwand die Barkasse hinter einer Biegung. Er war fort.

3
    Juli 1856 , zwei Monate später
    Victoria City, Hongkong, den 13 . Juli 1856
     
    Meine geliebte Johanna,
    dieses ist mein vierter Brief an Dich und mein kürzester, denn ich muss mich eilen, um das Postschiff nicht zu versäumen. Ach, wie gern würde ich ebenfalls in ein Couvert springen und mich mit der Postfracht zu Dir verschiffen lassen! Henry Farnell, dem Du, wie ich weiß, mit einiger Skepsis gegenüberstehst, erweist sich als zuverlässiger, jedoch, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auf dem gesellschaftlichen Parkett recht tölpelhafter Partner, so dass ich alle Hände voll zu tun habe, seine Fauxpas im Umgang mit den einflussreichen Männern der Siedlung auszugleichen. Auch neigt er dazu, sich meinen Ratschlägen zu widersetzen, und so haben wir bereits zwei lukrative Ladungen verpasst. Dank meiner Hartnäckigkeit soll aber bald ein Charter in Farnells und meinem Namen nach Amerika auslaufen, wo wir auf gute Gewinne für eine Ladung Tee und Seidenwaren hoffen. Von der Seide habe ich einige Meter für Dich zurückbehalten.
    Meine bescheidene Wohnsituation hat sich noch nicht verändert, denn ich gedenke, die günstige Logis zu behalten, bis Du mit den Deinen wohlbehalten in Victoria ankommst. Es wird mir eine Freude sein, gemeinsam mit Dir eine Wohnstatt zu wählen, die erst durch Deine Anwesenheit zu einem wahren Heim werden kann. Kaum kann ich es erwarten, Dich wieder in die Arme zu schließen. Ich hoffe sehr, Deine Mutter erholt sich bald, denn es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, die Sehnsucht nach Dir zu ertragen. Noch immer …
     
    »Johanna?« Der laute Ruf schreckte Johanna aus ihrer Versunkenheit auf. Unwillig löste sie sich von Friedrichs Zeilen, blieb aber sitzen.
    »Ich bin im Salon, Mama. Benötigst du etwas?«, rief sie zurück. Als Antwort kam nur ein unverständliches Murmeln. »Mama! Brauchst du Hilfe?«
    »Nein, nein, Kind. Mich plagt nur unerträglicher Durst.«
    Mit einem Seufzen nahm Johanna den nörgelnden Unterton zur Kenntnis. Normalerweise hätte sie der Mutter umgehend eine Wasserkaraffe ans Bett gebracht, doch nach den Anstrengungen des heutigen Tages fühlte sie sich zu erschöpft, um noch herumzuspringen. Der Umzug von der Pension in den zweigeschossigen, mit einer großen Veranda ausgestatteten Bungalow in der Waterloo Street hatte sich aufgrund der Hitze und eines heftigen Tropengusses zur Qual entwickelt. Die Aufsicht über eine Gruppe von Lastenträgern war an ihr hängengeblieben. Wiederholt verlor sie die Contenance, wenn die halbnackten Chinesen und Inder es an dem nötigen Feingefühl für ihre zum Teil zerbrechliche Last mangeln ließen, doch leider ohne Erfolg. Die ausgemergelten Männer bedachten sie lediglich mit neugierigen Blicken, als Johanna entnervt erst auf Englisch, dann auf Deutsch zur Vorsicht mahnte.
    Sie richtete sich auf. Wo war eigentlich Leah? Sollte die Schwester doch der Mutter aufwarten, während sie Friedrichs Brief zu Ende las, auch ihr, Johanna, stand hin und wieder eine kleine Flucht zu! Wiederholt rief sie nach Leah, bekam aber keine Antwort. Wahrscheinlich saß die Jüngere irgendwo in der Nachbarschaft und zeichnete, unbekümmert darum, dass sie vielleicht gebraucht würde – oder dass ihre Familie sich Sorgen machte.
    »Johanna!«
    Sie legte widerwillig den Brief beiseite und ging in den ersten Stock. Im Gegensatz zu den anderen Zimmern, in denen Einrichtungsgegenstände und Möbel noch darauf warteten, ihren Platz zu finden, wirkte der Raum der Mutter mit dem großen, aus dunklem Teakholz gefertigten Bett bereits behaglich. Eine Brise fand den Weg durch das glaslose, nur mit Läden verschließbare Fenster und blähte die hellgelb bedruckten Batistvorhänge. Die Abendsonne tauchte die Mutter in goldenes Licht. Johanna hielt unwillkürlich den Atem an. Nie hatte sie Alwine Uhldorff so bezaubernd, so engelhaft gesehen. Ihre Zartheit und Blässe, sonst ein steter Quell der Sorge, unterstrich nur ihre Schönheit.
    »Wo bleibst du denn?« Die Mutter hob matt den Arm. »Ich komme um vor Durst. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass es auf der Welt einen so heißen, schwülen Ort gibt.«
    Der Zauber war dahin. Johanna stützte die Mutter und schüttelte ihr nassgeschwitztes Kopfkissen auf, dann eilte sie in

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