Die Insel der Orchideen
das hinter dem Haupthaus liegende Küchenhaus und schöpfte kühles Wasser aus einem bereitstehenden Gefäß.
Johanna interessierte sich für die Krankenpflege, hatte schon in Hamburg den Nachbarn zur Seite gestanden, wenn es jemanden aufs Lager gebannt hatte, und den Ausführungen der Ärzte wissbegierig gelauscht, doch der Zustand der Mutter machte sie ratlos. Längst hätte sie die Seekrankheit überwunden haben müssen, aber noch immer litt Alwine Uhldorff unter Schwindel und Schwäche. Es musste wohl die Hitze sein, die ihr weit mehr zusetzte als ihrem Mann und den Töchtern, vielleicht auch die Angst vor einer erneuten strapaziösen Seefahrt. Denn immer, wenn sie ein wenig erholter schien und eine Weiterreise ins Gespräch kam, erlitt sie einen erneuten Schwächeanfall. Es war eine ungeheuerliche Unterstellung, doch Johanna wurde den Verdacht nicht los, die Mutter würde die Abreise bewusst hintertreiben. Sie rief sich zur Ordnung. So etwas durfte sie nicht einmal denken.
Sobald die Mutter ihren Durst gestillt hatte, kehrte Johanna in den Salon zurück, doch sie fand keine Ruhe mehr. Hastig, nur auf der Stuhlkante sitzend, überflog sie den letzten Teil des Briefes:
Noch immer kann ich mein Glück kaum fassen, in Dir eine aufrichtige und liebreizende Partnerin gefunden zu haben, die das Wagnis eingehen will, an meiner Seite durchs Leben zu schreiten. Ich werde alles daransetzen, mich Deiner würdig zu erweisen.
Nun muss ich die Feder aus der Hand legen, meine geliebte Johanna, denn der Boy, ein quirliger, dürrer und überaus unverschämter Chinesenbengel, tritt schon ganz ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Mit jeder Zeile, die ich anfüge, wird er schneller laufen müssen, damit dieser Brief das Postschiff noch rechtzeitig erreicht. Aber auch ich muss mich sputen. Das Fieber hat ein weiteres Opfer unter den Männern der Kaufmannschaft gefordert, und obwohl ich den Mann nur oberflächlich kannte, erfordert der Anstand meine Anwesenheit bei der Beerdigung.
Sehnsuchtsvolle Grüße sendet
Dir Dein ergebener Verlobter
Friedrich von Trebow
Sie ließ das mit Friedrichs schwungvoller Handschrift bedeckte Blatt sinken und schloss die Augen. Dies war tatsächlich ein kurzer Brief, füllten Friedrichs Beschreibungen der Kolonie in der Mündung des Perlflusses doch sonst Seite um Seite, und noch einmal so viel Raum nahmen seine zarten Liebesbekundungen ein. Zu einer Beerdigung hatte er eilen müssen? Johanna massierte sich die Stirn mit den Fingerspitzen, um einen aufkommenden Kopfschmerz zu vertreiben. Die Bemerkung beunruhigte sie vielleicht über Gebühr, doch es war nicht das erste Mal, dass Friedrich über den Tod eines Mannes in Hongkong berichtete; im Gegensatz zu Singapur schien das Klima dort recht ungesund zu sein. Auch der Vater hatte bereits davon gehört und zweifelte mehr und mehr an der Richtigkeit ihres Vorhabens. Johanna hätte schreien mögen: Lass uns endlich fahren!, doch die Vernunft gebot ein besonnenes Vorgehen, wollten sie nicht das Leben der Mutter aufs Spiel setzen.
Sie erhob sich mit einem Ruck. Seit die Lastenträger entlohnt und fortgeschickt waren, hatte sie sich gescheut, die Kisten und Kästen auch nur anzurühren. Alles in ihr hatte sich dagegen gesträubt, den für das kommende halbe Jahr gemieteten Bungalow in Besitz zu nehmen, bedeutete es doch, dass sie sich mit einem langen Aufenthalt in Singapur abfand. Nun aber machte sie sich mit neuem Eifer ans Auspacken. Gott würde den richtigen Zeitpunkt auswählen, an dem sie Friedrich wiedersah. Bis dahin war ihr Platz hier in Singapur, an der Seite ihrer Mutter.
Je mehr Kisten sie öffnete, je wohnlicher der Salon durch die vertrauten Kandelaber, posamentenverzierten Kissen und den zierlichen Tand aus der Hamburger Wohnung wurde, desto frohgemuter fühlte sie sich. Liebevoll platzierte sie die wie durch ein Wunder heilgebliebene Tischuhr auf einem hübschen, zur Einrichtung des Bungalows gehörenden Sekretär. Schon daheim in Hamburg hatte die Pendule mit ihrem gediegenen Glanz von Messing und poliertem Holz alle Blicke auf sich gezogen – ein Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern, Alwine Uhldorffs ganzer Stolz. Der nächste Gegenstand, den Johanna aus einer schützenden Schicht von Decken wickelte, ließ sie überrascht innehalten. Die Mutter musste das kleine, mit Rädern und einem Strick zum Nachziehen versehene Holzpferdchen heimlich in die Kiste geschmuggelt haben, denn als die Uhldorffs ihren Hausstand für
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