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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Johanna griff nach den Stuhllehnen.
    Hermann beugte sich erschrocken zu ihr. »Ist dir nicht gut, Mama? Soll ich dir ein Glas Wasser bringen?«
    Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Mach dir keine Sorgen, es stürmt gerade nur etwas viel auf mich ein. Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich jetzt gern allein sein.«
     
    Johanna erwachte vor Sonnenaufgang vom Gezänk der ersten Flughunde, die von ihren Futterbäumen auf einer der vorgelagerten Inseln zurückkehrten. Alle Knochen taten ihr weh, steif stemmte sie sich aus dem Gartensessel. Auf dem Tisch entdeckte sie die leere Weinflasche, die eine Erklärung sowohl für ihren schweren Kopf lieferte als auch für die Tatsache, dass sie trotz der Mücken auf der Veranda eingeschlafen war. Sie umrundete das stille Haus und wusch sich im Mandi das Gesicht. Zwar hatte sie mittlerweile Badezimmer im Bungalow installieren lassen, doch sie und die Mädchen zogen das alte Badhaus vor, selbst wenn die Diener den Kopf darüber schüttelten.
    Als sie wieder vor die Tür trat, verfärbte sich der Himmel bereits violett. Die Flughunde kamen jetzt in großen Scharen und drängelten sich in der Tamarinde. Johanna ging ins Haus, kritzelte eine kurze Nachricht und war draußen auf der Straße, als sich ihre Kinder noch den Schlaf aus den Augen rieben. Was sie brauchte, war ein Gespräch mit Onkel Koh. Ein langes Gespräch und eine heiße Suppe mit frischem Tofu, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.
    * * *
    »Dein Verdacht hat sich bestätigt, Mama.« Hermann stützte sich schwer auf den Schreibtisch.
    Wie ähnlich er seinem Vater sieht, dachte Johanna, und doch wieder nicht. In Hermanns Zügen erkannte sie eine Reife, die Friedrich nie erlangt hatte. Auch vom Wesen her waren sie grundverschieden: Wo Friedrich gezaudert hatte, packte Hermann an, wo der Vater verunsichert gewesen war, vertraute der Sohn auf sein Urteilsvermögen. Schon in den ersten zwei Wochen ihrer Zusammenarbeit hatte Johanna festgestellt, dass die Jahre in England ihren Sohn zu einem talentierten und umsichtigen Kaufmann gemacht hatten, der sich nicht zu schade war, die Assistenten nach ihrer Meinung zu fragen. Bald würde sie ihm die Firmenleitung anvertrauen, und sie würde es voller Überzeugung tun. Sie mochte die Arbeit im Kontor, doch ihr Herz schlug für die Klinik. Sie sehnte sich danach, ihre Zeit wieder verstärkt der Krankenstation zu widmen. Ein wenig um sich selbst kümmern wollte sie sich auch. Mit Hermann als Familienoberhaupt konnte sie sich zurücklehnen und auf die Aufregung warten, die ein Enkelkind in ihr Leben bringen würde.
    »Wie ich schon sagte«, wiederholte Hermann, »du hattest recht: Franklin Cameron wettet auf Hahnenkämpfe, auf Schiffsankünfte, aufs Wetter, auf was immer du willst. Und er verliert, selbst beim Wetter. Die chinesischen Buchmacher hatten ihn am Schlafittchen, aber dann hat er vor etwa drei Jahren alle seine Schulden auf einen Schlag bezahlt. Nur um neue zu machen, die er auf ebenso wundersame Weise beglich, als er wieder mit dem Rücken zur Wand stand.«
    »Wer ist sein Schuldner?«
    »Das weiß niemand außer Cameron selbst, aber den habe ich noch nicht befragt. Hast du einen Verdacht?«
    »Ja. Erinnerst du dich an Ross Bowie?«
    »Natürlich.«
    »Dein Vater war ebenfalls bei ihm verschuldet, allerdings hat Bowie meines Wissens nach bei Friedrichs unglücklichen Einkäufen nie seine Finger im Spiel gehabt.« Nachdenklich ging Johanna im Büro auf und ab. »Ich habe Bowie lange nicht gesehen. Er war in den letzten Jahren ständig unterwegs und verbringt viel Zeit in seiner Firmenniederlassung in Hongkong.«
    »Das heißt nichts«, gab Hermann zu bedenken. »Andererseits hat auch Onkel Henry in letzter Zeit immer wieder Verluste im Ostasienhandel hinnehmen müssen.«
    »Was ebenfalls auf eine Intrige von Bowie hindeutet. Allerdings werde ich ihn nicht ohne Beweise beschuldigen.« Sie öffnete die Tür und wies einen der Schreiber an, Franklin Cameron zu suchen. Wenig später klopfte es zaghaft, und der feiste Mann trat ein. Nie hatte Johanna ihn so linkisch gesehen.
    Sie war sicher gewesen, dass Cameron alles zugeben würde, doch sie hatte ihn unterschätzt. Obwohl sie ihm auf den Kopf zu sagte, er sei gekauft worden, beharrte er störrisch auf seiner Version der Geschichte: Die verdorbenen Ladungen seien ihm von namenlosen Zwischenhändlern untergeschoben worden, er sei immer loyal gewesen. Ross Bowie erwähnte er mit keinem Wort, und Johanna hütete sich, den Namen

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