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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Frauen nicht mit der Kutsche kamen, dann erinnerte sie sich, dass das Pferd der Robinsons lahmte. Wahrscheinlich hatten sie keine Mietdroschke gefunden und waren auf die Jinrickshaws ausgewichen. Seit die ersten im letzten Jahr in Gebrauch genommen worden waren, hatten sie sich zum beliebten Transportmittel insbesondere für die ärmeren Bewohner der Stadt entwickelt. Johanna schätzte sie ebenfalls, auch wenn die Jinrickshaw-Kulis sie oft dauerten. Ihre schweißglänzenden sehnigen Rücken sprachen Bände über die Anstrengungen, und sie zahlte ihnen meist den doppelten Preis, was dazu führte, dass immer ein paar Jinrickshaw-Kulis in Sichtweite ihres Bungalows ausharrten, um ihre Dienste anzubieten.
    Lily sah sie als Erste und winkte aufgeregt zum Fenster hinauf. »Das Schiff läuft ein!«, rief sie. Ihre Augen blitzten vor Begeisterung. Auch Dinah lachte glücklich.
    »Aber es soll doch erst morgen kommen«, rief Johanna zurück. »Woher wisst ihr es?«
    »Ich habe einen Assistenten am Collyer Quay gebeten, mir einen Boten zu schicken, sobald die
Rajpootana
auftaucht. Vor kaum einer halben Stunde war er da.«
    Mittlerweile hielten alle drei Jinrickshaws direkt vor dem Kontor. Johannas Blick fiel auf Dinah. Die Neunzehnjährige war bei weitem das hübscheste junge Mädchen in Singapur, und das fand nicht nur sie als Mutter. Sie hatte Friedrichs hellblonde Haare und strahlend blaue Augen geerbt, während ihre noch jugendliche Figur bereits erahnen ließ, dass sie später einmal ähnliche Rundungen wie Johanna entwickeln würde.
    »Mama, träum nicht!«, rief sie jetzt nach oben. »Wir müssen uns beeilen, sonst gehen die Passagiere von Bord, bevor wir am Hafen sind.«
    »Ich komme ja schon.« Johanna schloss die Fensterläden und hastete hinunter. Die Vorfreude verdrängte alle Gedanken an den verdorbenen Tee und Camerons seltsames Verhalten. Damit würde sie sich in den nächsten Tagen beschäftigen. Johanna kletterte neben Dinah auf die Bank der Jinrickshaw, und die kleine Karawane setzte sich in Bewegung.
    »Ich bin so aufgeregt!«
    »Meinst du, ich nicht?« Tatsächlich klopfte Johanna das Herz bis zum Hals. Endlich würde sie ihn wiedersehen. Zu lange schon war er fort aus Singapur. Dinah griff ihre Hand und drückte sie, dass es weh tat. Johanna ließ es geschehen, war sie doch froh darüber, dass das sonst so ruhige Mädchen einmal aus sich herausging. Impulsiv umarmte sie die Tochter. »Ich bin so froh, dass es dich gibt«, flüsterte sie.
    Im ersten Moment versteifte sich Dinah; noch immer tat sie sich mit Berührungen schwer. Doch dann stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.
    »Deine Tochter zu sein, ist nicht immer einfach«, sagte sie. »Aber ich möchte keine andere Mutter haben.«
    Die Straße zum Hafen war verstopft wie immer, doch mit den wendigen Jinrickshaws kamen sie schnell voran. Gerade warfen Matrosen der
Rajpootana
die dicken Taue zum Pier, wo die Hafenarbeiter bereitstanden, das eiserne Schiff zu vertäuen. Die Frauen kämpften sich so nahe zum Wasser vor wie möglich. Die Nachricht von der vorzeitigen Ankunft des Schiffes hatte sich in Windeseile verbreitet und Menschen aus der ganzen Stadt herbeigelockt, die Waren, Freunde oder Verwandte erwarteten. Bald hundert Augenpaare hefteten sich auf das Oberdeck, wo die Reisenden aus Europa und Indien an der Reling aufgereiht standen und ihrerseits die Menge auf dem Pier nach vertrauten Gesichtern absuchten.
    Lily erspähte ihn als Erste. »Dort ist er, ziemlich in der Mitte.« Mit den Armen rudernd hüpfte sie auf und ab, um den Mann auf sich aufmerksam zu machen. Auch die anderen entdeckten ihn. »Hermann!«, riefen sie wie aus einem Mund, immer wieder, und hörten auch nicht auf, als er zurückwinkte.
     
    Spät in der Nacht, als alle Willkommensgäste gegangen waren und Lily und Dinah bereits schliefen, bat Johanna ihren erwachsenen Sohn auf die Veranda. Eine Öllampe verbreitete weiches Licht, aus dem Garten drangen die Geräusche der Nacht.
    Hermann lehnte sich gegen das Geländer und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. »Das habe ich vermisst. Danke, Mama.« Er nahm ihr ein Glas Wein ab und probierte. »Der ist gut.«
    »
John Little & Co.
importiert neuerdings französischen Wein«, sagte Johanna und stellte sich neben ihn. Noch immer kam sie aus dem Staunen über seine Verwandlung nicht hinaus. Statt des mageren Achtzehnjährigen mit dem hellen Flaum im kindlichen Gesicht stand ein breitschultriger, blondbärtiger Kerl neben ihr, aus

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