Die Insel der Orchideen
dessen grauen Augen die Ruhe eines Erwachsenen strahlte. Vor fünf Jahren hatte sie einen Jungen ziehen lassen, ein Mann war zurückgekehrt.
Im Tamarindenbaum raschelte es, lautes Gezeter ertönte.
»Flughunde?«
Johanna nickte. »Du solltest sie erst mal am Morgen hören. Wir stehen früh auf, seit die Kalongs in unseren Garten gezogen sind.«
»Warum habt ihr sie nicht verjagt?«
»Warum? Sie sind so drollig.«
»O Mama.« Hermann stellte sein Glas ab und drückte seine Mutter fest an sich. »Flughunde.« Er lachte leise. »Im College haben sie mich oft aufgezogen, ich sei hinterwäldlerisch und ungeschliffen. Dabei sind die meisten nie über die akkurat gestutzten Hecken ihrer Anwesen hinausgekommen.«
»Hast du gelitten?«, fragte Johanna erschrocken.
»Nein. Es waren eher freundliche Hänseleien. Ich habe gelernt zu parieren. Es war schön in England, interessant und lehrreich, aber für immer könnte ich nicht dort leben.«
Johanna hatte tausend Fragen, und Hermann berichtete unermüdlich von seiner Londoner Zeit. Nach dem College hatte er sich gegen ein Studium entschieden und war stattdessen bei Henry Farnell vorstellig geworden, der ihn mit Freuden in die Lehre genommen hatte. Johanna blieb nicht verborgen, dass Hermann große Stücke auf Henry hielt – im Gegensatz zu dessen siebzehnjährigen Sohn Oscar, den er regelrecht verabscheute. Intrigant sei er, faul und auch nicht sonderlich klug. Sicherlich sei er der Grund, warum Farnell oft traurig wirke. Wegen Oscar und natürlich auch wegen des Todes von Milicent, die nach Jahren des Leidens in einem Schweizer Sanatorium ihrer Schwindsucht erlegen war. Im Übrigen sei es sicher kein Vergnügen, mit Amelia verheiratet zu sein, meinte Hermann beiläufig. Er habe sie schon als Kind nicht gemocht, aber nun sei sie völlig verbittert.
Die beiden versanken in Schweigen. Keine der Nachrichten über die Familie Farnell überraschte Johanna. Henry und Amelia waren nicht füreinander bestimmt, genauso wenig, wie sie und Friedrich füreinander bestimmt gewesen waren. Die Liebe mache blind, behaupteten die Dichter, und wie recht sie hatten. Dennoch wollte Johanna an die Liebe glauben, wollte ihre eigenen Kinder an der Seite von Partnern glücklich sehen, die es wert waren.
Sie griff den Gedanken auf. »Dinah und Roy sind ein wunderschönes Paar«, sagte sie. »Sie haben deine Ankunft kaum erwarten können.«
»Ich habe Dinah geschrieben, dass sie ihre Hochzeit auch ohne mich feiern könne, aber davon wollte sie nichts hören. Zum Glück«, fügte er hinzu. »Ich hätte mir den großen Tag nicht gern entgehen lassen. Steht der Termin schon fest?«
Johanna nickte. »Im März.«
»So lange müssen die Armen noch warten?«
»Sie werden es überstehen«, antwortete Johanna amüsiert. »Wie sieht es mit deinen Plänen aus?«
»Welche Pläne meinst du?«
Johanna wand sich. Es war seltsam, ihren nunmehr erwachsenen Sohn so etwas zu fragen, aber schließlich war sie seine Mutter. »Ich wüsste gern, ob du vielleicht auch schon jemanden gefunden hast. Ich meine, in London gibt es doch viele hübsche Mädchen …«
»Aber das weißt du doch.«
»Was soll ich wissen?«, fragte Johanna alarmiert.
»Ich habe meine Frau längst gefunden. Sie muss nur noch zustimmen.«
Das Blut wich aus Johannas Gesicht, eine Ahnung beschlich sie. »Hast du sie denn schon gefragt?«, fragte sie wachsam.
Er bemerkte ihren plötzlichen Stimmungswechsel nicht. »Aber natürlich«, erwiderte er fröhlich. »Da waren wir noch Kinder. Roy hatte beschlossen, Dinah zu heiraten, und ich habe Lily gefragt.« Er zuckte die Schultern. »Damals hat sie behauptet, sie wolle nie heiraten, aber vielleicht kann ich sie heute dazu bringen, ihre Meinung zu ändern.«
Johanna erinnerte sich überdeutlich an jenen weit zurückliegenden Nachmittag. Vermutlich hätte sie besser daran getan, den Vorfall nicht als Kinderei abzutun.
»Willst du ihr einen Antrag machen?«
Er nickte. »Ja, aber erst muss ich mich um die Firma kümmern und ihr beweisen, dass ein Ehemann nicht so schlimm ist, wie sie es gern darstellt.«
»Sie wird die Krankenpflege nie aufgeben«, meinte Johanna, erleichtert über den Aufschub. Sie musste mit Chee Boon Lee sprechen. Die Zeit war gekommen, das Schweigen ungeachtet der Konsequenzen zu brechen. Unglücklicherweise weilte er in Amoy, und sie wusste nicht, wann er zurückkam.
»Ich würde es nie wagen, sie davon abzuhalten.«
»Das ist gut.« Die Welt geriet ins Taumeln.
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