Die Insel der Orchideen
ließ sich auf einer der Kisten nieder, die den Lagerraum fast vollständig ausfüllten. In ihr stritten Verzweiflung und Wut. Als Cameron ihr aus Amoy gekabelt und zum Kauf des großen Postens erstklassigen Tees geraten hatte, hatte sie nur kurz gezögert und dann alles auf eine Karte gesetzt – nur um einmal mehr auf die Nase zu fallen. Seit etwa drei Jahren geschah es immer wieder, dass ihre Agenten minderwertige Ware ankauften, schuldlos, wie sie beteuerten, doch an Johanna nagten Zweifel. Natürlich konnte so etwas passieren, aber nicht ständig. Dabei hatte sie jahrelang ein gutes Urteilsvermögen bewiesen.
Von Trebow Trading
hatte sich langsam, aber sicher erholt; sie hatte Anteile von Henry zurückgekauft und stand kurz davor, zur Haupteignerin der Firma zu werden. Nun machte ihr dieser unbrauchbare Tee einen Strich durch die Rechnung.
»Mr Cameron, die Ware kann nicht in Ordnung gewesen sein. Sie waren nur zehn Tage unterwegs. In der kurzen Zeit verschimmelt keine komplette Teeladung. Ganz davon abgesehen, dass er auch vorher nicht die Qualität gehabt haben kann, die Sie in Ihrem Kabel angekündigt hatten.«
»Ich habe mich wohl geirrt«, murmelte er.
»Geirrt?« Die Wut nahm überhand. Sie sprang auf und baute sich vor ihm auf. Cameron trat einen Schritt zurück und stieß gegen eine Kiste. Johanna musterte ihn. Als Henry vor über vierzehn Jahren Singapur verlassen hatte, war Cameron ein hoffnungsvoller junger Mann gewesen, zwei, drei Jahre jünger als sie, drahtig, gutaussehend und voller Energie. Die Zeit in den Tropen hatte ihm zugesetzt. Noch immer Junggeselle, kümmerte sich niemand um seinen Lebenswandel. Er war fett geworden. Fett und träge im Geist. Trotzdem galt er als ausgefuchster Händler, der loyal zu Henry und ihr stand. Weshalb sie natürlich auf seinen Rat gehört hatte, schließlich hatte er die Ware selbst in Augenschein genommen. Oder etwa nicht?
»Sie haben den Tee überhaupt nicht begutachtet, stimmt’s? Wer waren die Zwischenhändler? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Familie Chee mit falsch gelagerter Ware handelt.«
»Es war nicht die Familie Chee.«
»Wer dann?«
»Ich weiß es nicht. Der Tee ist mir halt angeboten worden.«
»Er ist Ihnen halt angeboten worden?« Ihr blieb die Spucke weg. Man kaufte nichts, was man nicht selbst gesehen hatte. Oder ein vertrauenswürdiger Agent. Genau deshalb war Cameron in Amoy gewesen: Er sollte sich nach einem neuen Agenten umsehen, nachdem der bisherige an einer Lebensmittelvergiftung verstorben war.
»Was machen wir jetzt?« Cameron flüsterte nur noch. Johanna konnte ihm ansehen, wie das schlechte Gewissen ihn plagte. Ein schlimmer Verdacht durchzuckte sie. Hatte er die verdorbene Ware bewusst gekauft? Unsinn, warum sollte er ihr Schaden zufügen wollen?
»Der Tee ist wertlos. Kippen Sie ihn ins Meer.« Sie rauschte aus dem Lager und stieg die Treppe zu ihrem Büro hinauf. Ein Verdacht formte sich, sie hatte etwas übersehen, konnte es aber nicht greifen. Sie stieß die Läden auf und lehnte sich gegen die Fensteröffnung. Unten drängelten sich wie jeden Tag Menschen und Waren auf der Uferstraße. Jetzt trat Cameron auf die Straße. Er rückte seinen hellen Strohhut zurecht und eilte in Richtung des Raffles Place. Kurz bevor er um die Ecke bog, drehte er sich noch einmal um, als wolle er sich versichern, dass ihm niemand folgte. Er entdeckte Johanna im Fenster. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass er nicht erfreut darüber war, beobachtet zu werden. Was hatte er zu verbergen? Ein Gang zum Raffles Place, wo die Banken, Geschäfte und Kontore ansässig waren, war an sich alles andere als auffällig. Doch irgendetwas stimmte nicht mit Cameron. Johanna kamen die Gerüchte über seinen unseligen Hang zu Wettspielen in den Sinn. Sie hatte nie etwas darauf gegeben, aber zumeist hatte Geschwätz einen wahren Kern. Hatte Cameron Spielschulden?
Laute Rufe rissen sie aus ihrem Gedankengang. Drei Jinrickshaws bahnten sich einen Weg durch die Menge. Johanna beugte sich aus dem Fenster und winkte Dinah, Lily und Mercy zu. Der Chinese, der Mercys Jinrickshaw zog, musste sich mächtig ins Zeug legen, so füllig war Mercy geworden. Trotzdem war sie noch immer so lebhaft wie vor einem Vierteljahrhundert, als sie in Johannas Leben gewirbelt war. Und immer noch so modebewusst: Ihr zitronengelbes Kleid hätte in jedem europäischen Hause die Blicke auf sich gezogen.
Johanna wunderte sich, dass die
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