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Die Insel der Orchideen

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Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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schlug er ein.

6
    November 1857 , drei Monate später
    J ohanna hielt ihre Augen auf Bowies Rücken geheftet. Er erreichte das Gartentor und bog ab, ohne sich noch einmal zur Veranda umzuwenden, wo sie stand, das Geländer so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
    »Hat er dir einen Antrag gemacht?«
    Johanna rührte sich nicht. Ihr Kiefer schmerzte, so hart presste sie die Zähne aufeinander.
    Die Mutter ließ nicht locker. »Akzeptiere es endlich: Friedrich ist tot!«
    »Das glaube ich erst, wenn ich seine Leiche sehe.«
    »Sei nicht albern. Es ist schon November. Das Unglück der
Albatros
liegt acht Monate zurück.«
    »Henry Farnell hat ihn auch nicht aufgegeben. Er sucht überall nach ihm.«
    »Pah! Und während er einem Geist nachjagt, vernachlässigt er seine Geschäfte. Er macht dir nur unnötige Hoffnung. Die Sache mit dem Seemann, den er irgendwo auf den Philippinen aufgestöbert hat, sollte dir eine Lehre sein. Es ist deine Pflicht, in die Zukunft zu sehen.«
    »Meine Pflicht?« Johanna spuckte ihrer Mutter das Wort förmlich vor die Füße. »Du meinst wohl, ich habe für dein Auskommen zu sorgen. Warum siehst
du
dich nicht nach einem neuen Mann um? Es laufen genügend Junggesellen und Witwer hier herum. Auch in deinem Alter.« Johanna hasste sich dafür, doch sie musste sich eingestehen, dass sie die Mutter bewusst verletzte, ein Ergebnis der frostigen Stimmung im Hause Uhldorff. Der Haussegen hing seit Monaten schief, nicht zuletzt, weil Alwine Uhldorff ihre Älteste zunehmend bedrängte, Bowie zu einem Antrag zu ermutigen. Johanna hatte sich dem Wunsch der Mutter verweigert, doch der Antrag war dennoch gekommen, gerade eben auf der Veranda.
    »Wieder heiraten?«, fragte Alwine Uhldorff. Bebte die Mutter vor Zorn oder stand sie kurz vor einem Tränenausbruch? »Ich würde niemals das Andenken deines Vaters beschmutzen.«
    »Aber von mir verlangst du, Friedrich zu vergessen.« Johannas Wut fiel in sich zusammen. Wie die Mutter so vor ihr stand, in ihrem schwarzen Kleid, das sie kaum ausfüllte, kam sie ihr sehr zerbrechlich vor. Sie schämte sich, Widerworte gegeben zu haben, auch wenn sie sich im Recht wähnte. »Ich habe Bowie um Bedenkzeit gebeten«, sagte sie leise.
    Alwine Uhldorffs Augen leuchteten auf. »Das hast du gut gemacht, Liebes. Ein wenig hinhalten musst du ihn natürlich. Und wann gedenkst du zuzustimmen? Ich schlage vor, du lässt ihn noch ein paar Tage zappeln.«
    Johanna war fassungslos. Galt ihr eigener Kummer denn tatsächlich so wenig? Sie wollte der Mutter erneut über den Mund fahren, als Leah aus dem Haus trat, einen großen Beutel über die Schulter geworfen, der wohl ihre Zeichenutensilien enthielt.
    »Und wohin willst du?«, schnappte sie.
    »Zum Unterricht. Danach gehe ich zu Mrs Fergusson, um ihr Portrait zu beenden. Lass mich vorbei.«
    Johanna trat beiseite und ließ ihre Schwester passieren. Sie hätte ihr gern noch etwas gesagt, etwas Nettes, etwas Aufmunterndes, doch die seit dem Tod des Vaters zwischen den Schwestern herrschende Sprachlosigkeit ließ jedes Wort auf halbem Wege in der Kehle sterben. Johanna wusste, dass sie irgendwann den Neuanfang wagen, ja, erzwingen musste, doch momentan fehlte ihr die Kraft. Sie reichte kaum, den Haushalt zu organisieren, die Launen der Mutter zu ertragen und die eigene Fassade aufrechtzuerhalten.
    »Leah ist erwachsen geworden«, sagte die Mutter in die unbehagliche Stille hinein. »Sie ist nun achtzehn Jahre alt. Auch sie sollte verheiratet werden.« Johanna starrte auf den Rücken der Schwester wie kurz zuvor auf den von Bowie. Die Mutter hatte recht: Im letzten Jahr hatte Leah durch den Tod des Vaters alles Kindliche verloren; sie war härter geworden. Erwachsener.
    »Leah interessiert sich nicht für die Ehe«, sagte Johanna scharf. Es reichte, wenn eine von ihnen auf dem Altar der Vernunft geopfert wurde. »Männer sind ihr ein Greuel.«
    »Das interessiert wiederum mich nicht im Geringsten. Sie muss unter die Haube. Allerdings sollten wir nicht ihr die Wahl überlassen, sonst kommt sie uns noch mit solch einem Abenteurer wie diesem Wallace.«
    Johanna hielt es nicht mehr aus. »Wallace war ein interessanter Gentleman«, zischte sie. »Manchmal wünschte ich mir wirklich, Leah wäre ein Mann und könnte ihrer Wege ziehen. Und noch etwas: Ich habe mir nicht Bedenkzeit erbeten, um Bowie zappeln zu lassen. Es steht überhaupt noch nicht fest, ob ich seinen Antrag annehme.« Ohne die Antwort der Mutter

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