Die Insel der Orchideen
beiden Bahn brach. Die Heftigkeit des Ausbruchs entsetzte sie, aber mehr noch die Wortlosigkeit, in der die beiden Kampfhähne verbissen aufeinander eindroschen. Erst als sie Blut aus Leahs Nase rinnen sah, schüttelte Johanna ihre Lähmung ab. Laut schreiend versuchte sie, ihren Gatten von Leah fortzuziehen, doch Friedrich behielt die Überhand. Rasend vor gekränkter Eitelkeit packte er Leah an den Haaren und stieß sie vor sich her die Treppe hinauf und in ihr Zimmer. Johanna folgte ihnen händeringend.
Er zog den innen steckenden Schlüssel ab und hielt ihn Leah vors Gesicht. »Du wirst so lange in diesem Zimmer bleiben, bis du Vernunft angenommen hast.«
Leah trat nach ihm. »Das werden wir ja sehen.« Dann traf ihr Blick Johanna. »Warst du es, die Mutter und deinem Versager von Ehemann alles verraten hat?«
Es war ein Schuss ins Blaue, aber Johanna nickte. »Ich habe die Zeichnungen unter deinem Bett gefunden«, flüsterte sie. »Was sollte ich denn tun? Du bist mir ausgewichen. Ich wollte doch nur dein Bestes.« Ihre Stimme brach.
»Spar dir die Tränen, Verräterin«, zischte Leah. Sie schmiss die Tür so heftig zu, dass sie Friedrich vor die Stirn traf. Fluchend schloss er sie ein.
Johanna taumelte gegen die Wand. Verräterin. Wie recht Leah hatte.
* * *
Der Kutscher hatte Mühe, sein Pferd durch das Menschenmeer in der Amoy Street zu lenken. Es schien Friedrich, als sei zu dieser frühen Stunde die gesamte chinesische Stadt auf den Beinen. Ein Träger stapfte vorbei, und eine Welle üblen Gestanks, der selbst die wahrlich nicht angenehmen Ausdünstungen des Singapur-Flusses überlagerte, wogte in die Kutsche. Friedrich würgte. In den Eimern des Mannes schwappte der Inhalt der Nachttöpfe, der wiederum den Weg zu den Obstgärten, Pfeffer-, Muskat- und Katzenkrallen-Plantagen landeinwärts fand. Es war Friedrich unverständlich, warum der reichste Mann der Stadt noch immer in dem verstopften chinesischen Viertel mit seinem Lärm, Elend und Gestank lebte. Andere chinesische Händler hatten sich längst ihre Villen im europäischen Viertel gebaut, selbst ein bengalischer Kaufmann wohnte dort. Dem Alten Chee haftete jedoch der Ruf an, sparsam und äußerst traditionsbewusst zu sein, auch wenn er großen Wert darauf legte, von den Europäern als Königin Victorias treu ergebener »Queens Chinese« angesehen zu werden.
Obwohl Friedrich Stauraum auf Chee-Schiffen charterte, war er dem Alten bisher nicht oft begegnet und entsprechend nervös. Der Alte Chee stand gesellschaftlich einige Stufen über ihm – in keiner anderen Stadt des britischen Empires als Singapur wäre dies möglich gewesen, wo nur das Geld über das Ansehen eines Mannes entschied.
Es kursierten viele Geschichten über die Familie Chee. Sie waren sagenhaft reich, doch als Friedrich der Fassade des Hauses ansichtig wurde, wunderte er sich. Ein Reihenhaus, das sich nur durch die Größe und Pracht des Lampionpaares über dem Eingang von den anderen Häusern der Zeile unterschied. Er wusste, dass die Häuser oft durch Tiefe wettmachten, was ihnen an Breite fehlte, aber trotzdem: Eine Villa wäre dieser Familie mit Sicherheit angemessener gewesen. Ihr Reichtum gründete sich auf den Teehandel, doch mittlerweile kauften und verkauften sie alles, was Profit brachte. Man munkelte sogar, der Alte Chee sei der Patriarch einer Hoey, einer jener Geheimgesellschaften, die sich gegenseitig befehdeten und deren Mitglieder auch vor Mord nicht zurückschreckten.
Die Frauen der Familie Chee zeigten sich nur zu besonderen Anlässen; Friedrich wusste sehr wohl zu schätzen, dass sie ihn bei seiner Hochzeit beehrt hatten. Wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, entstammte Chees Gattin einer hochangesehenen Familie aus Amoy, war vielleicht sogar adelig, was ihre gebundenen Füße erklären würde. Hin und wieder sah man ihre prächtig geschmückte Sänfte in den Straßen der Stadt, selten jedoch ihr Gesicht. Die Töchter wuchsen in der Abgeschiedenheit des Hauses auf. Sie waren hübsch und würden gute Partien abgeben.
Gute Partien – ha! Friedrich ballte die Fäuste. Wie konnte Chee Boon Lee es wagen, sich an seiner Schwägerin zu vergreifen! Da sah man, wozu es führte, wenn die Chinesen ihre Söhne nach England schickten. Kaum hatten sie eine europäische Ausbildung genossen, meinten sie, gut genug für die Töchter der Weißen zu sein. Er würde ein für allemal klarstellen, dass es so nicht ging. Auch wenn Chee Boon Lee reich und gebildet war,
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