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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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geboten hatte. Sowohl ihr Mann als auch die Mutter benahmen sich, als hätte Leah einen Mord begangen. Dabei war sie alles andere als eine Verbrecherin, sondern schlicht verliebt. Erinnerte sich Friedrich denn gar nicht mehr an die Zeit ihres Kennenlernens? Hatte er nie unkeusche Gedanken gehegt, wenn sie zusammen über das Deck der
Ganges
spazierten? Oh, Johanna spürte noch immer den ersten Kuss auf den Lippen, jenen Kuss im Garten von Mr Goymours Pension. Erinnerte sich an das süße Ziehen, dessen Ursprung sie damals nur vage ahnte. Sie selbst hätte die Grenzen der Schicklichkeit sicher niemals übertreten, doch es lag in Leahs impulsiver, unbekümmerter Natur, dem Verlangen nachzugeben. Wie sehr musste die Schwester diesen Mann lieben, dass sie ein derart großes Risiko einging! Johanna bereute zutiefst, Leah nicht zu einer Aussprache unter vier Augen gezwungen zu haben. Vielleicht hätte sie die Schwester zur Vernunft gebracht. Jetzt war es zu spät, und sie konnte nur hoffen, dass sich Leah einsichtig zeigte, um die Mutter und Friedrich nicht noch stärker zu reizen.
    Das Gartentor quietschte, einen Moment später flog die Haustür mit Schwung auf. Leah hielt sich nicht im Erdgeschoss auf, sondern hastete die Treppe hinauf, um sich wie immer sofort in ihr Zimmer zurückzuziehen. Friedrich warf die Zeitung auf den Boden und sprang auf.
    »Leah!«, donnerte er. »Komm sofort in den Salon!«
    »Gleich«, schallte es von oben. »Ich will mich nur frisch machen für die Abendgesellschaft.«
    »Keine Widerrede. Komm auf der Stelle herunter!«
    Johanna fuhr zusammen. Sie hatte nicht gewusst, wie bestimmend Friedrich sein konnte. Auch ihrer Schwester entging es nicht, denn nur Augenblicke später stand sie mit fragendem Gesicht in der Tür. Johanna stöhnte innerlich auf. Leah wirkte wie das blühende Leben, mit glänzenden Augen und rosigen Wangen. So sah eine glückliche Frau aus. Eine, die die Liebe kannte. Ihre zerzausten Haare und ein Riss in ihrer Bluse sprachen Bände. Beim Anblick des Tribunals erlosch der Glanz in ihrem Gesicht und machte einer Härte Platz, die Johanna erschreckte. Leah trat nicht ein, sondern lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Hände vor der Brust.
    »Nun?«, fragte sie.
    »Das fragen wir dich.« Alwine Uhldorff erhob sich und ging einen Schritt auf ihre Jüngste zu, hielt dann aber inne. Leahs eisiger Blick bannte sie auf die Stelle. »Wo hast du dich den ganzen Nachmittag herumgetrieben? Antworte mir!« Leah schwieg. »Mit Männern hast du dich herumgewälzt, mit stinkenden Chinesen! Schande, nichts als Schande bringst du uns!« Die Mutter verlor zusehends die Fassung und schrie, dass man es noch auf der Straße hören mochte. Durch ihre Verwünschungen verlor sie alles Damenhafte. Leah wartete ungerührt, dann schnitt sie ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
    »Mit Männern, Mutter? Willst du mich beleidigen?«, fragte sie kühl. Johanna schöpfte Hoffnung. Es war nur ein Missverständnis, die Zeichnungen hatten nichts zu bedeuten. Mit dem nächsten Satz machte Leah alles zunichte.
    »Es gibt nur einen Mann für mich. Ich bin schließlich eine anständige Frau.« Die letzten Worte spuckte sie regelrecht aus. »Freut euch auf eine Hochzeit. In einem hattest du allerdings recht: Er ist Chinese.«
    Alwine Uhldorff verschlug es die Sprache, Johanna schnappte nach Luft. Mit allem hatte sie gerechnet, nicht jedoch mit einem unverblümten Geständnis. Es musste Leah ernst sein, sehr ernst. Sie sprang auf, um ihre Schwester hinauszuführen, fort von dem Zorn und der Missgunst, die ihre Liebe vergiften würde, doch Friedrich kam ihr zuvor. Weiß vor Wut durchmaß er das Zimmer und verabreichte Leah eine Ohrfeige, so heftig, dass sie zu Boden ging. Johanna starrte fassungslos auf die beiden. Was geschah hier? Friedrich stand breitbeinig über ihrer Schwester. Wie konnte ihr sonst so freundlicher Mann urplötzlich gewalttätig werden?
    »Du wirst niemanden ohne meine Einwilligung heiraten, verstanden?«, zischte er. »Ich bin der Herr in diesem Haus.«
    Leah gab keinen Laut von sich. Mit zusammengebissenen Zähnen rappelte sie sich hoch und baute sich vor Friedrich auf. »Ein Schwächling wie du hat mir überhaupt nichts vorzuschreiben. Du nicht und niemand sonst.«
    Sie war zu weit gegangen. Friedrich hieb auf sie ein wie auf einen tollen Hund, doch anstatt zu flüchten, setzte sich Leah furiengleich zur Wehr. Johanna ahnte, dass sich die lange schwelende Abneigung der

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