Die Insel der Orchideen
entstanden. Ich zähle darauf, dass Sie Fräulein Uhldorff unter Kontrolle halten. Um meinen Sohn kümmere ich mich.«
Friedrich glaubte, sich verhört zu haben. Wie konnte der Mann sich dazu versteigen, Leah als seines Sohnes nicht würdig anzusehen! Eine scharfe Zurechtweisung lag ihm auf der Zunge, doch er zügelte sich und schluckte die bittere Pille. So wie es aussah, war er nicht in der Situation, einen Skandal heraufzubeschwören, indem er einen der am höchsten angesehenen Männer der Stadt gegen sich aufbrachte.
»Gibt es noch etwas zu besprechen?«
Friedrich verneinte.
»Gut.« Der Patriarch erhob sich. Die Audienz war beendet.
»Ich werde dafür Sorge tragen, dass nie ein Wort über die unselige Angelegenheit unser Haus verlässt«, sagte Friedrich.
»Davon gehe ich aus.« Die Kälte in der Stimme des Alten Chee ließ Friedrich frösteln. Er hatte erreicht, was in seinen Augen nötig war, aber Freunde hatte er sich dadurch nicht gemacht. Die Schuld dafür lag bei Leah.
10
August 1859 , drei Monate später
S o stickig wie in diesem Jahr war es noch nie gewesen, zumindest erschien es den Singapurern so. Kaum hundert Kilometer vom Äquator entfernt herrschte in Singapur jahrein, jahraus ein feuchtheißes Klima, das pünktlich jeden Nachmittag mit einem erfrischenden Regenguss aufwartete. Doch seit Monaten stöhnte die Stadt nun schon unter einer nicht enden wollenden Hitzewelle. Wer Besorgungen zu erledigen hatte, huschte von Schatteninsel zu Schatteninsel, und manche der chinesischen und indischen Hafenarbeiter, von ihren Arbeitspflichten in die glühende Sonne gezwungen, brachen mit Hitzschlag zusammen. Von den Malaien, ohnehin körperlichen Anstrengungen nicht zugetan, war kaum jemand in der Stadt zu sehen, und selbst die Vögel wirkten seltsam matt.
Auch Leah, die im Allgemeinen unempfindlich gegen alle Kapriolen des Wetters war, stand an ihrem Fenster und hoffte auf eine Brise. Seit Johanna sie vor drei Monaten verraten hatte, war sie eine Gefangene. Ein einziges Mal, drei Nächte nach ihrer Entdeckung, war es ihr gelungen, zu entkommen. Auf der Suche nach Boon Lee war sie durch die Stadt geirrt, doch sie hatte ihn nicht gefunden. Die Nacht verbrachte sie in ihrer geheimen Hütte. Als sie am nächsten Morgen wieder über den Fluss gehen wollte, kreuzte unglücklicherweise Friedrich ihren Weg. Er war seit Sonnenaufgang auf der Suche nach ihr und zerrte sie erbost in die Kutsche. Sie trat um sich, biss ihn in die Hand, aber er ließ sie nicht los und schleifte sie wieder in ihr Zimmer. Kaum hatte er die Tür hinter ihr verschlossen, warf sie ein paar Sachen zusammen und riss die Fensterläden auf. Sie wollte schon die Beine übers Sims schwingen, als sie fassungslos in der Bewegung verharrte.
Der Mangobaum, ihre Leiter in die Freiheit, war gefällt worden. Außer sich vor Wut verfluchte sie Lim, der mit eingezogenen Schultern einige Arbeiter beim Zersägen des Baums beaufsichtigte.
Wenige Tage später teilte Friedrich ihr mit, Chee Boon Lee sei bereits auf dem Weg nach China, um sich dort eine Braut zu suchen. Er hatte kaum die Tür wieder hinter sich zugezogen, als sie zusammenbrach. Boon Lee hatte sie verraten wie alle anderen auch.
An die folgenden Tage erinnerte sie sich kaum, alles floss ineinander, bis eines Nachts Lim einen an einen Stein gebundenen Brief durch ihr Fenster warf. Er kam von Onkel Koh. Mit fliegenden Fingern entfaltete Leah das Papier. Von einem Hausdiener der Chees hatte Koh Kok erfahren, dass Boon Lee mit Gewalt auf die Dschunke gezwungen worden war; zuvor hatten Vater und Sohn hinter verschlossenen Türen so erbittert gestritten, dass die Familie und die Diener sich nur auf Zehenspitzen zu bewegen wagten.
Wieder und wieder las Leah den Brief. Onkel Koh, den sie nie eingeweiht hatte, wohl wissend, dass er die heimlichen Treffen nicht gutgeheißen würde, war aus allen Wolken gefallen, als Lim völlig aufgelöst in seiner Kammer erschien. Sie war ihm dankbar, dass er sie nicht für ihr Verhalten verurteilte, doch sein Rat, sie solle sich in die Situation fügen, kam sie hart an.
In den folgenden Wochen und Monaten waren Onkel Kohs Briefe, die Lim ihr heimlich zusteckte, ihr einziger Trost. Seiner Bitte folgend, hatte sie alle Fluchtversuche fürs Erste aufgegeben, allein schon, um den armen Lim, dem Friedrich unter Androhung schrecklicher Konsequenzen aufgetragen hatte, ihre Schritte zu überwachen, nicht in eine missliche Lage zu bringen. Boon Lee zu schreiben hatte
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