Die Insel der roten Erde Roman
als sie stehen blieb und nach Atem rang. Ihr Herz raste – die Warnung der schönen dunkelhaarigen jungen Frau verfolgte sie noch immer. Nimm dich in Acht!
Doch wenn die Warnung nicht ihren Kindern galt, wem dann?
Seit Tagen schon verspürte Betty eine quälende innere Unruhe, und sie wusste, wer dafür verantwortlich war: das Mündel der Ashbys. Sie hatte viel über diese junge Frau nachgedacht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Das war Betty an diesem Morgen besonders klar geworden, als sie sie zusammen mit Polly beim Aufhängen der Wäsche beobachtet hatte. Je länger sie darüber nachgrübelte, desto sicherer war sie, dass die junge Frau die Ashbys hinterging.
Betty schaute ihren Kindern zu, die unbekümmert Fangen spielten. Wieder stiegen dunkle Ahnungen in ihr auf. Sie musste sie von hier wegbringen, nach Hause, wo sie in Sicherheit waren!
Bettys Sohn Ernest verzog das Gesicht, als sie ihm sagte, nun sei es genug, und sie würden umkehren. »Können wir nicht noch ein bisschen bleiben?«, quengelte er. Bei Reeves Point spielten die Kinder besonders gern, aber da es so nahe bei den Kliffs gefährlich war, durften sie nur in Begleitung ihres Vaters oder ihrer Mutter hierher kommen. Die Kinder wussten das.
»Nein!«, herrschte Betty ihn an. »Es wird Zeit. Und ihr geht mir nicht allein hierher, habt ihr verstanden?«
»Ja, Momma. Aber können wir nicht noch ein bisschen bleiben? Nur fünf Minuten!«, bettelte Martin.
»Nein«, erwiderte Betty streng. Sie nahm Ella-Jane an die Hand. Mit wild pochendem Herzen schaute sie noch einmal zum Brunnen hinüber und ging dann mit schnellen Schritten davon. Die beiden Jungen sahen sich an und folgten ihr mit hängenden Köpfen. In Anbetracht des ungewohnt scharfen Tonfalls ihrer Mutter hielten sie es für klüger, zu gehorchen.
Betty hatte Edna schon von weitem gesehen. Ihre Nachbarin goss die Blumen, die sie am Zaun zwischen den beiden Grundstücken gepflanzt hatte. Betty war noch immer bis ins Innerste aufgewühlt und hoffte, Edna würde ins Haus zurückkehren, damit sie unbemerkt vorbeischlüpfen konnte. Doch im selben Moment drehte Edna sich zu ihr um.
»Hallo, Betty!«, rief sie. »Hallo, Kinder!«
»Guten Tag, Missus«, antwortete Betty. »Guten Tag, Missus«, echoten die Kinder.
Edna fiel Bettys verstörte Miene sofort auf. »Stimmt etwas nicht, Betty?«, fragte sie, als ihre Nachbarin näher kam. Edna bemerkte die Schweißperlen, die Betty trotz des kühlen Winds auf der Stirn standen.
Betty schickte die Kinder ins Haus und ermahnte sie streng, drinnen zu bleiben. Edna wunderte sich über ihren scharfen Ton. So kannte sie Betty gar nicht. Hatten die Kinder vielleicht etwas ausgefressen?
Betty wusste nicht, was sie tun sollte. Einerseits hielt sie es für ihre Pflicht, Edna von ihrem Verdacht hinsichtlich ihres Mündels zu erzählen. Andererseits wollte sie Edna nicht beunruhigen oder Unfrieden stiften. Wieder musste Betty an die Erscheinung der dunkelhaarigen Schönen im Brunnenschacht denken. Hatte die Frau ihr zu verstehen geben wollen, dass sie Edna vor ihrem Mündel warnen sollte?
»Ich war mit den Kindern bei Reeves Point, Missus«, begann Betty, während sie Martin, Ernest und Ella-Jane mit den Blicken folgte, bis sie im Haus verschwunden waren. »Aber mir ist da nie ganz wohl. Ich habe immer Angst, sie könnten sich zu nah an den Klippenrand wagen …« Sie zögerte. Edna hatte Bettys sechsten Sinn stets ernst genommen, doch was sie an dem Brunnen erlebt hatte, war für sie selbst ein Schock gewesen. Wie wird erst Edna darauf reagieren?, fragte sie sich. Am Ende hält sie dich für verrückt!
»Kinder wissen eben nicht, wo überall Gefahren lauern, Betty«, sagte Edna zerstreut.
»Was haben Sie, Missus? Irgendetwas macht Ihnen Sorgen, nicht wahr?«
»Du hast Recht, Betty. Ehrlich gesagt bin ich schon seit längerem beunruhigt …« Sie blickte flüchtig zum Haus hinüber und flüsterte: »Es ist wegen meinem Mündel.« Edna hatte ein schlechtes Gewissen, hinter Amelias Rücken über sie zu reden, doch vielleicht würde Betty mit ihrem ungewöhnlichen Gespür und ihren Visionen ihr einige Antworten liefern können. Was hatte sie schon zu verlieren? Sie kam nicht an Amelia heran, und das Treffen mit Brian Huxwell hatte nur noch mehr Fragen aufgeworfen. Dr. Thompson war ihre letzte Hoffnung gewesen, doch nach der Unterhaltung mit ihm war sie so klug wie zuvor.
»Was ist denn mit ihr, Missus?« Betty war froh, dass Edna das Thema zur Sprache
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