Die Insel der roten Erde Roman
schickte sich gerade an, die Hacke wegzustellen, weil es zu dunkel wurde, als sie Sissie rufen hörte:
»Sarah, komm schnell! Milo geht es nicht gut!«
Amelia rannte zum Haus. Evan war bei dem Jungen im Zimmer. Milo erbrach sich schluchzend und stöhnend in einen Eimer.
Amelia tauchte einen Lappen in kaltes Wasser und tupfte dem Kleinen die schweißnasse Stirn ab.
»Was hat er denn?« Evan war außer sich vor Sorge.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Amelia. »Letztes Mal hatte er Fieber, musste aber nicht brechen. Diesmal ist es umgekehrt.«
»Er muss irgendwas Falsches gegessen haben.« Der Vorwurf in Evans Stimme war unüberhörbar.
»Er hat genau das Gleiche gegessen wie wir: Kartoffeln und kaltes Lammfleisch, und uns fehlt nichts«, verteidigte sich Amelia.
»Du vergisst Carlottas Keks«, warf Sissie ein. Sie sah erst die junge Frau, dann ihren Vater an.
»Von Carlottas Essen wird ihm bestimmt nicht schlecht«, knurrte Evan. Hätte seine Hilfskraft die Kekse gebacken, sähe die Sache anders aus.
Etwa eine Stunde lang wurde Milo von Übelkeit und Brechreiz geplagt; schließlich schlief er ein. Evan nahm den Jungen mit in sein Bett, damit er während der Nacht ein Auge auf ihn halten konnte.
Kingscote
Sarah stand in dieser Nacht um zwei Uhr auf und schlich in den Salon. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zündete sie eine Lampe an, stellte die Flamme aber ganz klein. Sie ging zum Bücherregal, das aus drei Borden bestand, nahm ein Buch nach dem anderen heraus und blätterte es durch. Sie musste diesen Zeitungsausschnitt unbedingt finden, bevor Edna ihn entdeckte! Denn wie sollte sie den Ashbys erklären, dass sie ganz anders aussah als die Sechzehnjährige auf dem Foto? Kein Mensch veränderte sich innerhalb weniger Jahre so dramatisch!
In einem Buch auf dem zweiten Bord wurde sie fündig. Der Ausschnitt lag zusammen mit einer getrockneten Blume fein säuberlich zwischen zwei Seiten eines Werks von Charles Dickens, American Notes . Sarah nahm den Ausschnitt heraus und betrachtete das Foto von Amelia Divine. Es war auf dem Debütantinnenball im Rathaus von Hobart Town aufgenommen worden. Sie trug ein weißes Ballkleid und sah hinreißend aus. Sarah wurde blass vor Neid. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass Amelia jetzt von früh bis spät Berge von Wäsche waschen, Ställe ausmisten und andere schwere Arbeiten erledigen musste. Sie überflog den Artikel, in dem die Divines als eine der einflussreichsten Familien der Stadt geschildert wurden. Das rief ihr ins Bewusstsein, was für ein riesiges Vermögen ihr bald zufallen würde.
Sie zerknüllte den Zeitungsausschnitt und fragte sich unwillkürlich, ob Amelia inzwischen ihr Gedächtnis wieder gefunden hatte und sich an ihr früheres Leben erinnerte.
»Und wenn schon! So ein Leben wird sie nie wieder führen«, stieß Sarah gehässig hervor. Sie betrachtete das zerknüllte Papier in ihrer Hand. »Vorerst bin ich sicher.« Sie huschte in die Küche und warf das Papierknäuel in die glühende Asche im Herd. Es flammte auf und zerfiel langsam zu Staub.
Schnell löschte sie das Licht und ging zurück ins Bett. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, Betty Hammond loszuwerden.
Cape du Couedic
Evan wachte am anderen Morgen schlecht gelaunt auf, war zugleich aber erleichtert, dass es seinem Sohn besser ging. Der Tag hatte noch nicht recht begonnen, als Carlotta schon wieder auf die Farm ankam. Dieses Mal brachte sie einen Laib Brot mit. »Guten Morgen, signore!« , rief sie fröhlich.
Evan, der bei seinen Ferkeln war, grunzte eine Antwort. Er schien nicht besonders gut geschlafen zu haben. Milo war blasser als sonst. Sein Anblick ging Carlotta zu Herzen. Fast hätte sie Mitleid gehabt. Aber nur fast.
»Was hat denn der bambino ? Er ist ein bisschen blass um die Nase«, meinte sie und setzte eine besorgte Miene auf.
»Gestern Abend ging es ihm gar nicht gut. Er musste sich immer wieder übergeben.«
»Oh, wie furchtbar!« Carlotta griff sich mit gespielter Bestürzung an den Hals. Evan war die Sorge um seinen Sohn anzusehen.
»Heute geht es ihm schon wieder besser.« Evan hatte lange gegrübelt, was die Ursache für Milos Übelkeit sein könnte. »Haben Sie irgendwelche Gewürze für Ihre Kekse verwendet?«
»Aber nein, signore , wo denken Sie hin! Nur Mehl, Hafer, Butter und Melasse.«
»Davon sollte ihm eigentlich nicht schlecht werden.« Evan sah seinen Sohn stirnrunzelnd an.
»Ich hab ihm sein
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