Die Insel der roten Erde Roman
…
»Warum kommen Sie heute Nachmittag nicht auf einen Sprung bei uns vorbei, Brian?«, sagte Edna. »Sie können ja sagen, die Papiere, die Sie uns für Amelia mitgegeben haben, seien nicht vollständig gewesen.«
Charlton machte ein bestürztes Gesicht. »Edna, ich habe Amelia mein Wort gegeben, dass sie Brian nicht begegnen muss!«
»Ich weiß. Aber ich glaube, nur so können wir Licht in diese merkwürdige Angelegenheit bringen.« Sie sah Brian an. Ihr war plötzlich ein Gedanke gekommen. »Wie würden Sie Amelia jemandem beschreiben, der sie nicht kennt?«
Brian blickte sie verwundert an. »Nun … schlank, langes dunkles Haar, heller Teint, dunkelbraune Augen.« Er zuckte die Achseln. »Ein reizendes Mädchen.«
Die Beschreibung traf auf die junge Frau im Haus der Ashbys zu, doch Edna musste an das Foto denken, das dem Zeitungsartikel beigefügt war. Amelia hatte auf diesem Foto hinreißend ausgesehen. Eine ausgesprochene Schönheit.
»Würden Sie sagen, sie ist attraktiv?«, fragte sie Brian.
»O ja, auf jeden Fall.«
Edna sah Charlton an und verstand überhaupt nichts mehr.
21
Als die Ashbys aus der Stadt zurückkamen, fragte Edna, wo ihr Mündel sei.
»In ihrem Zimmer, Mrs Ashby«, antwortete Polly. Sie bügelte einen von Sarahs Unterröcken und hielt kurz inne, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Auf dem Herd hatte sie unterschiedlich große und schwere Bügeleisen stehen. »Sie ist schon seit einer guten Stunde darin und hat die Tür zugemacht.«
»Oh.« Ob Amelia ihr immer noch böse war? »Denk dran, Polly: Kein Wort über ihren Geburtstag! Wir wollen sie mit der Party überraschen.«
»Ich habe ihr nicht gratuliert, Mrs Ashby, aber ich komme mir ziemlich schäbig vor. Sie denkt wahrscheinlich, wir hätten ihren Geburtstag vergessen.«
»Wenn unsere Überraschung gelingen soll, dürfen wir vorher kein Wort sagen!«
»Aber ich habe den ganzen Morgen gebacken, Mrs Ashby. Sie kann sich doch denken, dass Sie Gäste erwarten.«
»Anfang der Woche backst du doch meistens etwas, Polly. Ich glaube nicht, dass sie Verdacht geschöpft hat.«
Polly war zwar nicht überzeugt, nickte jedoch.
Edna ging zum Zimmer ihres Mündels und klopfte. »Amelia? Alles in Ordnung?«
»Ja, Tante«, antwortete Sarah. Sie hatte überlegt, wie sie sich Betty Hammond vom Hals schaffen könnte, aber keine zündende Idee gehabt.
Edna öffnete die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. Sie fand, die junge Frau klang niedergeschlagen. »Es tut mir Leid wegen gestern«, sagte Edna zerknirscht. Sie dachte an Camilla und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie deren Tochter so hart angefasst hatte. Camilla hatte sie schließlich ihrer Obhut anvertraut.
»Das ist schon in Ordnung, Tante. Wenn du in Ruhe darüber nachdenkst, wirst du selbst erkennen, dass die ganze Sache keinen Sinn macht. Ich meine, was soll ich mit einem Zeitungsausschnitt über mich selbst?«
Edna musste ihr beipflichten. »Du hast Recht. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.« Dennoch ließ ihr der Gedanke keine Ruhe, dass etwas nicht stimmte. Wenn sie nur wüsste, was es war! Bei ihren Versuchen, das herauszufinden, würde sie künftig allerdings feinfühliger vorgehen. Deshalb würde sie Amelia auch sagen, dass Brian Huxwell am Nachmittag kommen würde – aber erst unmittelbar vor seinem Eintreffen. Sie hoffte inständig, dass Amelia sich dann nicht allzu sehr aufregte – es war ja nur zu ihrem Besten. Edna war überzeugt, eine Aussprache zwischen ihrem Mündel und dem Anwalt würde vieles klären, und danach wäre Amelia gewiss zu einem neuen Anfang bereit.
»Reden wir nicht mehr davon, Tante«, sagte Sarah. Sie erkannte, dass sie Vorteile aus Ednas Schuldgefühlen schlagen konnte, und je netter sie sich gab, desto größer wäre Ednas schlechtes Gewissen.
Nach einem frühen Mittagessen, das in angespannter Atmosphäre verlief, entschuldigte sich Sarah. Sie ging nach draußen und schlenderte scheinbar ziellos zum Hühnerstall, wo Polly mit Ausmisten beschäftigt war. Edna und Charlton saßen im Salon: Sie bestickte einen Kissenbezug, er las die Zeitung.
»Was weißt du eigentlich über die Eingeborenen, Polly?«, fragte Sarah beiläufig.
Polly sah sie verdutzt an. »Nicht viel, Miss. Warum fragen Sie?«
»Nur aus Neugier. Ich hatte bisher kaum mit den Aborigines zu tun.«
»Aber in Hobart Town müssen Sie doch welchen begegnet sein! In der Zeitung stand, dass sie dort oft für Unruhe
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