Die Insel der roten Erde Roman
sorgen. Einmal wurde sogar von einem Aufstand berichtet. Die Fotos zu dem Artikel waren furchteinflößend.«
Sarah lief rot an. Camilla hatte in ihren Briefen nichts von einem Aufstand erwähnt, doch in Amelias Tagebuch hatte sie etwas von einem Vorfall gelesen, der für Aufsehen gesorgt hatte. So furchtbar ernst hatte es sich aber nicht angehört. »Die Zeitungen haben bestimmt maßlos übertrieben.«
»Die Ashbys waren jedenfalls in großer Sorge um Ihre Familie. Die Eingeborenen seien mit Speeren bewaffnet gewesen, stand in der Zeitung. Und Fotos können ja nicht übertreiben. Hatten Ihre Eltern denn keine Angst?«
»Nein, überhaupt nicht. Das waren doch bloß ein paar Eingeborene, die Spektakel gemacht haben. Wahrscheinlich hat der Fotograf ihnen etwas gegeben, damit sie möglichst wild dreinblicken und die Zeitung sich gut verkauft. Wir haben nichts Besorgnis erregendes bemerkt und von niemandem gehört, der verletzt worden wäre. Mich wundert, dass die Zeitungen hier über so etwas berichten!«
»Hier wird doch über jedes Schaf berichtet, das zwei Lämmer zur Welt bringt. Das meiste, was bei uns in der Zeitung steht, sind Meldungen vom Festland oder von Van-Diemens-Land, und die sind manchmal schon ein paar Wochen alt.« Polly schob den Mist zusammen und fuhr nach einer Pause fort: »Als ich hierher kam, wusste ich kaum etwas über die Eingeborenen. Aber dann zog eine Aborigine in Charity Cottage ein. Sie war mit einem Engländer verheiratet, genau wie Betty. Sie kam öfter zu Besuch zu den Ashbys.« Polly musste lachen. »Ihr Name war Rosie. Das war natürlich nicht ihr richtiger Name, aber ihr Ehemann nannte sie so. Das war vielleicht eine, diese Rosie!«
»Inwiefern?«, fragte Sarah.
»Nun, zuerst mal war sie furchtbar abergläubisch.«
Sarah horchte interessiert auf. »Wirklich? In welcher Hinsicht?«
»In jeder Hinsicht!« Polly musste abermals lachen, als sie an Rosies riesengroße dunkle Augen und ihr verrücktes Gebaren dachte. »Ich habe keine Ahnung, wo ihr Ehemann sie aufgegabelt hat, aber ich vermute, es muss irgendwo tief im Busch gewesen sein, weil sie so primitiv war. Er hatte alle Mühe, sie dazu zu bringen, dass sie sich etwas überzog und nicht nackt herumlief. Aber sie war immer barfuß. Ihre Füße hätten sowieso in keinen Schuh gepasst. Sie waren flach und breit wie ein Kuhfladen, und die Haut sah aus wie Dörrfleisch!«
Sarah verzog angewidert das Gesicht.
»Anfangs sprach Rosie kaum ein Wort Englisch. Ihr Mann nehme sich nicht die Zeit, es ihr beizubringen, meinte Mrs Ashby. Besonders eine der Geschichten, die sie uns erzählt hat, werde ich nie vergessen. Offenbar war Rosie einst mit einem Aborigine verheiratet gewesen und hatte ein Kind mit ihm. Eines Tages zeigte der Medizinmann des Stammes, der kadaicha , mit einem Knochen auf ihren Mann, und der fiel tot um. Einfach so. Ich konnte es nicht glauben!«
»Soll das heißen, der Knochen hat ihn umgebracht?«
»Nicht der Knochen als solcher, sondern die Überzeugung, dass man sterben muss, wenn der Knochen auf einen gerichtet wird, selbst wenn man völlig gesund ist. Es wirkt wie ein Fluch. Kein Arzt kann dann noch helfen. Der Geist ist etwas Mächtiges, das darf man nicht unterschätzen.«
Sarah hatte die unbestimmte Ahnung, dass dieses Wissen ihr im Hinblick auf Betty noch von Nutzen sein könnte. »Das ist ja unglaublich! Kann das nur ein Medizinmann, oder könnte das jeder?«
»Ich glaube, es muss schon der kadaicha sein, der den Knochen auf den Betreffenden richtet. Die meisten Weißen halten die Riten und Bräuche der Stämme für primitiv, aber ich finde sie aufregend. Wissen Sie, dass fast alle Aborigines etwas bei sich tragen, von dem sie glauben, das es ihren Geist beschützt?«
»Was denn zum Beispiel?«, fragte Sarah neugierig.
»Oh, das kann eine Feder sein, ein Stein oder ein Vogelschädel, wie in Rosies Fall. Sie trug ihn an einer Lederschnur um den Hals. Das sah reichlich merkwürdig aus, das kann ich Ihnen sagen, aber sie hütete das Ding wie ihren Augapfel und legte es niemals ab.«
»Was wurde aus dem Kind, das sie mit ihrem eingeborenen Mann hatte?«
»Es wurde von ihrer Familie großgezogen. Ich weiß nicht, ob ihr englischer Mann es nicht im Haus haben wollte oder ob Rosie wollte, dass es bei ihrem Stamm aufwächst. Sie bekam noch zwei Kinder, und dann sind sie fortgezogen. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört.«
»Ist Betty eigentlich auch abergläubisch?«, fragte Sarah beiläufig.
»O
Weitere Kostenlose Bücher