Die Insel der roten Erde Roman
keine Löcher in die Luft!«, befahl Evan. »Mach einen Topf Haferbrei!«
»Haferbrei?«
»Ja, die Kinder müssen etwas essen.«
»Ich weiß nicht, wie man Haferbrei macht …«
Er schaute sie verdutzt an. »Das weiß doch jeder!«
Amelia schwankte plötzlich.
»Was ist?«, fragte Evan, als sie sich auf einen Stuhl sinken ließ, beide Hände an den Kopf gepresst.
»Ich weiß auch nicht«, gab sie zurück. »Mir ist schwindlig.«
»Du bist zum Arbeiten hier!«, fuhr er sie an. »Also fall mir hier nicht in Ohnmacht. Ich weiß nicht, wie du dich im Gefängnis vor der Arbeit gedrückt hast, aber wenn ich mir deine Hände ansehe, hast du offenbar noch nie fest zupacken müssen.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich war nie im Gefängnis«, fuhr sie auf. »Jemand muss einen schrecklichen Fehler begangen haben.«
»Ja, du selbst, weil du versuchst, mich hinters Licht zu führen! Heute werd ich’s dir noch durchgehen lassen, aber ab morgen ziehe ich andere Saiten auf. Komm, ich bring dich in deine Unterkunft. Dann kannst du dich ein paar Stunden aufs Ohr legen, bevor hier ein anderer Wind für dich weht.«
Die Baracke, die Amelia als Unterkunft diente, bestand aus einem einzigen Raum. Er war leer bis auf einen mit Stroh gestopften Jutesack, der als Matratze diente. Als Evan gegangen war, ließ Amelia sich schluchzend darauf fallen.
Als sie am späten Nachmittag aufwachte, zitterte Amelia am ganzen Körper, aber wenigstens hatten die Kopfschmerzen nachgelassen. Der Duft von gebratenem Fleisch stieg ihr in die Nase, und ihr knurrte der Magen vor Hunger, denn sie hatte lange nichts gegessen. Sie ging zum Haus hinüber und stieß die Holztür auf. Evan briet Lammkoteletts auf einem über dem Feuer aufgehängten Rost.
»Darf ich hereinkommen?«, fragte Amelia.
Evan drehte sich verwundert um. Er staunte über ihren sanften Tonfall und ihre Höflichkeit, aber das gehörte sicher nur zu ihrem Spiel: Er sollte glauben, sie sei eine feine Dame, damit sie nicht zu arbeiten brauchte. Na, die würde sich noch wundern!
»Ja, komm und setz dich«, forderte er sie auf. »Du kannst mit uns essen. Aber in Zukunft gilt: Wer nicht arbeitet, bekommt auch nichts zu futtern. Verstanden?«
Amelia war so hungrig, dass sie ohne ein Wort des Widerspruchs stumm nickte. Neben der Feuerstelle stand ein Eimer Wasser. Sie wusch sich die Hände darin, bevor sie sich an den Tisch setzte. Evan sah es nicht, weil er die Koteletts vom Rost nahm und auf einen großen Blechteller gab, den er mitten auf den Tisch stellte. Amelia beobachtete verblüfft, wie er mit einer langen Gabel einen großen Laib Fladenbrot hervorholte, der in der Asche gebacken hatte; er schlug die verkohlte Kruste ab und legte den Laib dann ebenfalls auf den Tisch.
»Essen ist fertig!«, rief er. Lachend und lärmend kamen die Kinder aus allen Richtungen herbei. Der kleine Milo wäre um ein Haar über den Haufen gerannt worden.
Keins der Kinder wusch sich vor dem Essen die Hände, wie Amelia entgeistert feststellte. Ihr Entsetzen wurde noch größer, als sie sah, wie die Kleinen aßen: Sie griffen mit beiden Händen zu, stopften sich das Fleisch gierig in die kleinen Münder und kauten laut schmatzend. Jetzt erst fiel Amelia auf, dass kein Besteck auf dem Tisch lag.
Sie nahm sich ein Kotelett und legte es zusammen mit einem Stück Brot auf ihren Teller. Dann schaute sie Evan, der hungrig an einem Knochen nagte, fragend an.
»Was ist?«, nuschelte er mit vollem Mund.
Amelia zuckte innerlich zusammen. »Ich habe kein Besteck.«
Evan hielt eine Sekunde im Kauen inne, langte dann hinter sich und nahm ein Messer und eine Gabel aus einer Schachtel. Amelia betrachtete angewidert seine fettigen Fingerabdrücke auf dem angelaufenen Metall. Sie wischte es am Rocksaum ab, bevor sie das Fleisch zerschnitt. Die Kinder beobachteten sie verwundert, während sie wie ausgehungerte kleine Tiere an ihren Koteletts knabberten.
Evan sah, wie Amelia ihr Fleisch in kleine Stücke schnitt. »Oh, was sind wir vornehm!«, spottete er. »Kriegt man im Frauengefängnis neuerdings Tischmanieren beigebracht?«
»Das weiß ich nicht, weil ich nie in einem Gefängnis gewesen bin«, gab sie zurück.
Sie sah wirklich nicht aus, wie man sich eine Zuchthäuslerin gemeinhin vorstellte, und verhielt sich auch anders, musste Evan zugeben, dachte aber nicht weiter darüber nach.
Es dauerte nicht lange, bis alles aufgegessen war und die Kinder sich wieder nach draußen verzogen hatten. Die Hände
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