Die Insel der roten Erde Roman
Cottage.«
»Lance?«
»Ihr Sohn. Wissen Sie nicht mehr?«
Sarah wurde rot. »Ach so, Lance. Doch, ja, natürlich. Den hatte ich vor lauter Aufregung ganz vergessen. Wie dumm von mir.« Hatten die Ashbys noch mehr Kinder, von denen sie wissen müsste?
»Ist ja nicht weiter schlimm. Sie sind eine sehr tapfere junge Frau, und Sie haben viel durchgemacht. Seien Sie nicht zu streng mit sich.«
Der Kapitän schwieg. Sarah war froh darüber, gab es ihr doch Gelegenheit, sich wieder zu fangen. Sie hatte sich schon Erklärungen für ihre vermeintlichen Erinnerungslücken überlegt. Vielleicht könnte sie sich damit herausreden, dass sie sagte, sie hätte sich bei dem Schiffsunglück den Kopf angeschlagen, oder sie stünde nach dem Tod ihrer Eltern noch immer unter Schock. Irgendwie musste sie es schaffen, das, was sie nicht wusste, zu vertuschen und genug Geld von den Ashbys zu ergattern, um nach England zurückkehren zu können.
»So, da wären wir.« Kapitän Cartwright lenkte den Buggy die Einfahrt zu Hope Cottage hinauf. Das einstöckige Haus auf dem großen Grundstück lag von der Straße zurückversetzt. Es war aus Stein, hatte ein Eisendach und eine schmucklose, halb von Sträuchern verdeckte Fassade.
»Sie werden sich hier bestimmt wohl fühlen. Das Haus hat sechs Zimmer, wenn man den Anbau mitrechnet.« Sarah schloss aus seinem Tonfall, dass Hope Cottage nach hiesigen Maßstäben ein großes Anwesen sein musste.
Eine junge Frau spähte aus einem der vorderen Fenster. Sarah fragte sich, wer sie sein mochte. Sie hielten nicht vorne, sondern folgten der Auffahrt um das Haus herum. Der Buggy hatte kaum angehalten, als auch schon eine Frau die Fliegengittertür in dem ringsum vergitterten Anbau aufstieß.
»Hallo, Kapitän Cartwright«, grüßte sie und sah Sarah erwartungsvoll an.
»Hallo, Edna«, sagte der Kapitän. »Diese junge Dame ist …«
»Ich bin Amelia«, unterbrach Sarah ihn nervös und stieg aus dem Buggy. »Ich glaube, Sie erwarten mich bereits.« Sie sprach langsam und deutlich und gab sich alle Mühe, die Sprechweise ihrer Mutter nachzuahmen. Jetzt würde sich entscheiden, ob ihr Plan aufging. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie glaubte, alle müssten es hören.
Edna machte große Augen. Dieses abgerissene Mädchen sollte die Tochter ihrer Freundin Camilla sein? »Liebste Amelia! Ich bin Edna Ashby«, sagte sie schließlich und nahm Sarah in die Arme.
Edna war eine füllige Frau mit üppigem Busen und dunklen Haaren, die sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen hatte. Sie drückte Sarah so fest, dass dieser schier die Luft wegblieb. Als Edna sie wieder losließ und Sarah Atem holte, roch sie den Duft von Lavendel.
Sarah blickte in ein freundliches Gesicht mit klugen Augen. Edna sah sie prüfend an. Sarah hätte alles dafür gegeben, ihre Gedanken lesen zu können.
»Wir haben uns große Sorgen gemacht«, sagte Edna mit einem Seitenblick auf Kapitän Cartwright. »Aber jetzt bist du ja endlich da.«
»Die Gazelle ist vor Cape du Couedic gesunken. Es gab offenbar nur zwei Überlebende, und eine ist Amelia«, erklärte der Kapitän. Er begriff, dass Edna sich fragte, weshalb ihr Mündel aussah, als wäre es in einen Wirbelsturm geraten.
»O Gott!«, rief Edna erschrocken und musterte Sarah von Kopf bis Fuß. »Dem Herrn sei Dank! Es ist ein Wunder, dass du noch am Leben bist, mein Kind! Du musst mir alles genau erzählen. Aber jetzt komm erst mal herein. Du bist sicher völlig erschöpft. Und wie du aussiehst!«
»Ich weiß«, sagte Sarah verlegen. »Ein Leuchtturmwärter hat uns gestern Nachmittag gerettet. Heute Morgen kam Kapitän Cartwright vorbei und hat mich mitgenommen. Ich hatte keine Zeit, mich zu waschen …«
»Hauptsache, du bist wohlauf, mein Kind. Charlton wird ein Stein vom Herzen fallen! Gerade eben ist er zur Bucht hinuntergefahren, um sich zu erkundigen, wieso die Gazelle noch nicht eingetroffen ist.«
»Dann haben wir ihn offensichtlich verpasst«, meinte der Kapitän. Anscheinend hatte Charlton den Weg durch die Stadt und nicht über die Seaview und die Esplanade Road genommen.
Edna musterte Sarah mit kritischem Blick. »Die Gesichtsfarbe hast du von deinem Vater, aber ich kann keine Ähnlichkeit mit deiner Mutter erkennen.«
Sarah überlegte blitzschnell. »Mutter sagte immer, ich käme nach meiner Großmama«, sagte sie.
»Tatsächlich? Camilla war eine sehr gute Freundin von mir, musst du wissen, und sie hat mir schrecklich gefehlt. Die Post ist ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher