Die Insel der roten Erde Roman
stehen. Sie schäme sich so, hatte sie gejammert, und Edna gebeten, ihrem Sohn nicht böse zu sein. Ihrem Sohn!
»O Gott!« Edna sank entsetzt auf einen Stuhl.
30
Edna holte tief Luft und klopfte an Sarahs Tür.
»Herein!«, rief Sarah mit schwacher Stimme. Sie hatte sich innerlich bereits auf Ednas Besuch vorbereitet und wusste, jetzt hing alles von ihrem schauspielerischen Talent ab. Sie würde die Vorstellung ihres Lebens geben müssen.
Edna setzte sich zu ihrem Mündel aufs Bett. Fast eine Stunde lang hatte sie überlegt, wie sie das Thema einer möglichen Schwangerschaft taktvoll anschneiden könnte. Doch sie war zu dem Schluss gekommen, dass es nur einen Weg gab – den direkten. Obgleich Edna die Ängste und die Schamhaftigkeit der jungen Frau verstehen konnte, war sie enttäuscht, dass sie mit ihren Sorgen nicht zu ihr gekommen war.
Sarah hatte den Kopf gesenkt, sah aber aus den Augenwinkeln, wie Edna nervös ihre zitternden Hände knetete. Offenbar war alles nach Plan gelaufen: Polly hatte ihre kleine Unterhaltung nicht für sich behalten können, und Edna hatte die erhofften Schlussfolgerungen gezogen.
»Amelia, ich …« , begann Edna stockend und holte zittrig Luft, um ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Sie wusste, sie würde behutsam vorgehen müssen. Amelia war ohnehin übernervös. »Ich wollte dir nur sagen, Amelia, dass du jederzeit zu mir kommen kannst, wenn dich etwas bedrückt, was es auch sein mag. Das weißt du hoffentlich.«
Sarah schwieg.
»Ich werde dich nicht verurteilen, und ich werde nicht böse auf dich sein.« Böse, furchtbar böse, war sie nur auf ihren Sohn. Ihm würde sie später die Leviten lesen.
Sarah blickte sie aus großen Augen an, erwiderte aber nichts.
Edna fand, sie hatte sich lange genug gezügelt. »Amelia, kann es sein, dass du schwanger bist?«, platzte sie heraus.
Sarah schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Schweigen und ihre scheinbare Verlegenheit wären Antwort genug, hoffte sie.
»Du hast gestern Abend gesagt …« , begann Edna und wusste vor Kummer nicht recht weiter. »Du hast gesagt, es sei etwas passiert, und ich solle meinem Sohn nicht böse sein.«
Sarah blieb stumm.
»Aus deinen Worten und deinen Fragen an Polly kann ich nur schließen, dass Lance dir die Unschuld genommen hat.« Die Worte wollten ihr fast nicht über die Lippen, so sehr schmerzten sie. Mit Tränen in den Augen dachte sie an ihre liebe Freundin Camilla, die ihr die Tochter anvertraut hatte. Jetzt beschlich Edna das beschämende Gefühl, Camilla im Stich gelassen zu haben. »Ich kann nicht verstehen, wie das passieren konnte«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich hätte besser auf dich Acht geben müssen.«
»Es ist nicht deine Schuld, Tante«, flüsterte Sarah. Sie hatte nicht erwartet, dass Edna sich Vorwürfe machen und die Schuld bei sich selbst suchen würde. Edna war gut zu ihr gewesen; sie wollte nicht, dass sie sich ihretwegen quälte. »Hasst du mich jetzt?«
»Unsinn, mein Kind, ich hasse dich nicht. Aber ich bin sehr wütend auf Lance.« Erregt sprang sie auf. Sie begriff nicht, wie das geschehen konnte. Sie hatte geglaubt, Lance habe eine tiefe Zuneigung zu Olivia gefasst. Warum also verführte er Amelia? Ihr konnte man keine Schuld geben. Sie war jung und naiv; Lance aber hätte es besser wissen müssen.
Sarah ließ den Kopf hängen. »Hältst du mich jetzt für einen schlechten Menschen, Tante?«
»Natürlich nicht, Amelia! Du bist eine arglose junge Frau. So jemanden darf man nicht ausnutzen. Und hab keine Angst«, fuhr sie ernst fort. »Ich werde schon dafür sorgen, dass Lance zu seiner Verantwortung steht.« Edna mochte sich gar nicht vorstellen, was Charlton dazu sagen würde. So ein Skandal! Da hatten sie alles getan, um sich in der Stadt einen guten Ruf zu erwerben, und jetzt das! Diese Schande!
Zutiefst aufgewühlt verließ Edna das Zimmer, um ihren Mann zu suchen. Ein zufriedenes Lächeln huschte über Sarahs Gesicht.
Als Edna den Salon betrat, sah Charlton ihr sofort an, dass etwas passiert sein musste. Sie war schneeweiß im Gesicht.
»Was hast du denn, Edna? Ist etwas geschehen?«
Sie nickte unter Tränen.
»Du machst mir Angst! Was ist denn?«, fragte Charlton beunruhigt.
»Es könnte sein, dass Amelia schwanger ist«, wisperte Edna.
Charlton fiel aus allen Wolken. »Was? Aber wie …?« Sie hatten die junge Frau doch kaum aus den Augen gelassen!
Edna sah ihren Mann verzweifelt an. Sie brachte es nicht
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