Die Insel der roten Erde Roman
zur Haustür. »Morgen Früh wirst du mir dankbar sein, Amelia«, sagte er mit fester Stimme und machte ihr die Tür vor der Nase zu.
Sarah verstand überhaupt nichts mehr und brach in Tränen aus. Sie war sicher gewesen, nur den ersten Schritt tun zu müssen, damit Lance mit ihr schlief. Sie warf einen hasserfüllten Blick in Richtung Faith Cottage und zischte: »Das ist alles nur deine Schuld, Amelia Divine!«
Lance, der drinnen hinter der Tür stand und lauschte, hörte die Bemerkung. »Wieso redet sie denn mit sich selbst?«, murmelte er kopfschüttelnd. »Sie benimmt sich wirklich seltsam!«
Wütend und zutiefst gedemütigt machte Sarah sich auf den Heimweg. Durch ihren Tränenschleier hindurch sah sie nicht, dass Edna und Charlton die Auffahrt heraufkamen.
»Amelia! Was hast du denn, mein Kind?«, rief Edna besorgt, als sie ihr Mündel schluchzen hörte.
Was hätte Sarah erwidern sollen? Sie schüttelte stumm den Kopf, als brächte sie vor Kummer kein Wort hervor.
»Was ist denn passiert?«, fragte Charlton verwirrt.
Sarah drehte sich zu Edna um und legte den Kopf an ihre Schulter. Sie schluchzte noch immer herzzerreißend. Edna tätschelte ihr beruhigend den Rücken und führte sie ins Haus und in ihr Zimmer.
»Ich werde euch einen Sherry bringen«, rief Charlton den beiden nach.
»Nein, danke, Charlton!«, antwortete Edna rasch, denn der Atem ihres Mündels roch nach Alkohol. Amelia hatte an diesem Abend anscheinend schon genug getrunken.
Edna schloss die Tür und drückte Sarah sanft aufs Bett. »Und jetzt erzähl mir, was dich bedrückt, mein Kind«, sagte sie liebevoll. »Lass dir Zeit.«
Sarah kam plötzlich eine Idee, wie sie Nutzen aus der Situation ziehen könnte. Lance hatte ihre Pläne durchkreuzt und sie nicht verführt, sondern zurückgewiesen. Doch das konnte Edna ja nicht wissen. Sarah warf sich herum, drückte das Gesicht in ein Kissen und schluchzte: »Ich schäme mich so!«
»Aber warum denn, Liebes?«, fragte Edna erstaunt. »Du hast doch bestimmt nichts getan, dessen du dich schämen müsstest.«
Sarah nickte heftig und wischte sich die Tränen fort. »Du wirst mich bestimmt hassen, Tante«, murmelte sie mit hängendem Kopf.
Edna fasste sie am Kinn und zwang sie sanft, sie anzusehen. »Ich werde dich niemals hassen, Amelia. Das könnte ich gar nicht. Was ist passiert?«
»Ich … ich war drüben in Charity Cottage.«
»Und?«, drängte Edna behutsam.
»Ich habe …« Sarah verstummte und holte tief Luft. »Es ist etwas passiert«, stieß sie hervor. Sie wollte nicht ins Detail gehen, sondern lediglich durch vage Andeutungen Misstrauen säen. Niemand würde sie der Lüge bezichtigen können, aber das Ergebnis wäre das Gleiche: Edna würde denken, Lance hätte ihr Mündel kompromittiert.
»Wie meinst du das?« Jetzt war Edna sichtlich beunruhigt. »Ist etwas mit Lance?«
»Nein, nein, es geht ihm gut.« Sarah sah aus wie das schlechte Gewissen in Person.
»Kind, ich verstehe nicht! Was ist passiert?«
»Du darfst Lance nicht böse sein, Tante. Versprich es mir!«, bat sie inständig.
Ednas Verwirrung wuchs. »Also gut. Aber jetzt rede endlich, Amelia. Hast du dich über irgendetwas aufgeregt, das Lance gesagt hat?«
»Nein.« Sarah schüttelte den Kopf. »Er …«
»Was, Amelia? Hat er jemandem etwas angetan?«
»Nein.«
»Aber wieso weinst du dann?« Edna verlor allmählich die Geduld. Plötzlich fiel ihr ein, wie Lance ihr einmal erzählt hatte, die junge Frau bilde sich ein, er sei in sie verliebt. Hatte sie ihm womöglich ihre Zuneigung gestanden und schämte sich jetzt, weil Lance sie zurückgewiesen hatte? Edna wusste, dass Lance Olivia sehr gern hatte; deshalb vermutete sie, er hatte ihrem Mündel unmissverständlich klargemacht, dass er nicht interessiert war. »Du brauchst nichts mehr zu sagen, Amelia.« Edna tätschelte ihr begütigend die Hand. Sie wollte sie nicht in noch größere Verlegenheit bringen.
»Aber …«
»Schlaf jetzt. Morgen Früh sehen wir weiter.« Damit verließ Edna das Zimmer. Sarah starrte ihr entgeistert nach. Warum versuchte Edna nicht, der Sache auf den Grund zu gehen? Sie war sicher gewesen, ihre kleine Komödie würde Edna zu dem Schluss führen, Lance habe ihr die Ehre geraubt. Stattdessen verhielt sie sich, als wäre alles in bester Ordnung. Sarah stand vor einem Rätsel.
Am nächsten Morgen verlor Edna kein Wort über den Vorfall vom Vorabend, und auch Charlton sagte nichts. Seine Frau hatte ihn beruhigt: Ihr Mündel
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