Die Insel der roten Mangroven
Bonnie geschehen. Natürlich, Jefe träumte von einem größeren Unternehmen … irgendwann waren sogar die Worte »Kaufmann« und »Schiffseigner« gefallen. Bonnie hielt das für ziemlichen Unsinn. So reich wurde man nun auch wieder nicht mit der Freibeuterei.
Als sie in diesen Wochen jedoch sah, wie entschlossen Jefe das Geld zusammenraffte, begann sie fast, an seine Träume zu glauben. Natürlich sprach sie mit niemandem darüber, sie lächelte nur in sich hinein, wenn Sanchez und Pitch Jefe mit der »Frau seiner Träume« aufzogen, für die er sein Geld offenbar zusammenhielt.
Die Veränderungen, die in Bonnie vorgegangen waren, zeigten sich subtiler. Eigentlich bemerkten sie allenfalls der Captain und die anderen Kanoniere, die während der Enterungen auf der Mermaid blieben. Der Erste Kanonier Bobbie war zögerlicher geworden. Natürlich schoss er immer noch, und er traf auch – aber er zielte seltener mitten hinein in die Menge der Matrosen auf dem feindlichen Schiff, er schien nicht mehr so wild entschlossen, so viele Feinde wie nur möglich auszulöschen. Der Captain führte das auf die Verletzung zurück – vielleicht fehlte es dem Kleinen ein wenig an Biss, nun, da er wusste, wie es sich anfühlte, von einer Kanonenkugel getroffen zu werden. Auf die Dauer musste er sich das allerdings abgewöhnen. Ein Pirat, der Mitleid hatte, war undenkbar. Doch vorerst behandelte Seegallseinen Ersten Kanonier mit Nachsicht. Sein Bobbie würde die Verletzung irgendwann vergessen und die Ängste ablegen. Er war schließlich ein Mann!
Bonnie dagegen fühlte sich mehr als Frau, nachdem sie in Cap-Français endlich wieder eine hatte sein dürfen. Vor allem hatte sie dort zum ersten Mal in ihrem Leben wie eine normale Frau gelebt. Sie hatte gelernt, Mitleid und Gespür für die Gefühle anderer zuzulassen, Gesichter zu deuten … und mit anderen Frauen zu sprechen, die nicht auf sie hinuntersahen. Mit Máanu hatte sie das natürlich auch tun können, aber damals war sie noch ein kleines Mädchen gewesen und Máanu mehr eine Mutter als eine Freundin. Mit Amali dagegen hatte sie Klatsch austauschen, über harmlose kleine Dinge reden und kichernd den bunten Tand zur Verschönerung ausprobieren können, mit dem Bonnie so gern gehandelt hätte. Sie hatte gelernt, dass die Köchin es nicht ernst meinte, wenn sie schimpfte und lamentierte. Nachdem sie sich in der ersten Zeit erschrocken geduckt hatte, sobald Sabina laut geworden war, hatte sie das bald lachend ignorieren können. Überhaupt hatte sie offen und arglos zu lachen gelernt und das wiehernde oder brüllende Lachen der Matrosen, das auf Scherze folgte, die sie oft nicht einmal verstand, für eine Weile vergessen können.
Bonnie hatte Deirdre, die wunderschöne Herrin, rückhaltlos bewundert und den Doktor geradezu angebetet. Sie wusste, dass er nicht guthieß, was die Männer auf der Mermaid taten – egal wie viel Verständnis er für Bonnies missliche Lage in den Händen eines gewalttätigen Backras aufgebracht hatte. Victor Dufresne und sein Haushalt hatten in ihr Moralvorstellungen erweckt, die sie jahrelang verdrängt oder durch Wut überlagert hatte. Aber es war nicht zu leugnen, dass es dieselben Vorstellungen von Gut und Böse waren, die ihr auch Máanu vermittelt hatte.
»Du willst doch auch nicht, dass man dich bestiehlt!«
Bonnie konnte sich nicht helfen, doch jedes Mal, wenn sich die Mannschaft eines geenterten Schiffes wieder verbissen wehrte und sie den Befehl zum Abfeuern der Kanonen der Mermaid gab, dröhnte ihr der Kopf von Máanus Worten. Jefes Mutter hatte sie damit vor Jahren sanft getadelt, nachdem sie etwas Zuckerzeug im Laden hatte mitgehen lassen. Danach hatte Bonnie nie wieder gestohlen – bis jetzt. Und sosehr sie sich darüber freute, wie herzlich die Mannschaft der Mermaid ihren Bobbie erneut an Bord begrüßt hatte – Bonnie begann, sich unwohl zu fühlen. Sie hätte ihr Leben als Piratin lieber heute als morgen beendet.
»Du musst für mich stimmen, Bonnie! Du kannst gar nicht anders, es wäre so viel Geld …«
Bonnie war dabei, ihre Kanone zu reinigen, und Jefe redete seit einer halben Stunde aufgeregt auf sie ein.
»Wir könnten mit einem Schlag reich sein!«
»Oder tot«, gab Bonnie zu bedenken. »Mensch, Jefe, wenn der Captain schon zögert … und Sanchez … die sind doch sonst für jede gute Prise zu haben. Aber das … vielleicht ist es einfach zu groß für uns …« Sie polierte den Lauf ihres
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