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Die Insel der roten Mangroven

Die Insel der roten Mangroven

Titel: Die Insel der roten Mangroven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Tatsächlich lag über dem ganzen Platz eine angespannte Stille. Die Sklaven standen oder saßen schweigend auf den ihnen zugewiesenen Plätzen und schienen ins Leere zu starren. Die Militärs und Aufseher, die sie in Schach halten sollten, waren zur Untätigkeit verdammt und beschränkten sich darauf, grimmig zu schauen. Das verhältnismäßig kleine bunte Grüppchen von Mulatten und freien Schwarzen aus dem Hafenviertel, die freiwillig zur Hinrichtung gekommen waren, ließ sich von der Stimmung anstecken. Die vorwiegend jungen Männer hatten sicher ein Spektakel erwartet und hielten Bierkrüge und Schnapsflaschen in der Hand. Jetzt schauten sie genauso betreten wie die Sklaven.
    Lediglich auf der Ehrentribüne bemühte man sich um Heiterkeit. Der Gouverneur scherzte theatralisch mit seinen Gästen, man unterhielt sich und ließ die Dufresnes noch einmal hochleben. Aber es wirkte gezwungen, und das fahle Dämmerlicht dieses Tages unterstrich die Abstrusität der Szenerie.
    Dann ertönte ein Trommelwirbel, die Menschenmenge auf dem Platz regte sich erschrocken, und vor der Gendarmerie formierte sich der Zug, der Macandal zum Hinrichtungsplatzbringen sollte. Berittene Truppen, bewaffnete Militärs – der Gouverneur hatte nicht übertrieben: Dieser Gefangene wurde von so vielen, bis an die Zähne bewaffneten Männern eskortiert, dass jeder Fluchtversuch und jeder Angriff gänzlich aussichtslos war. Sicher diente das auch dazu, die Präsenz der Staatsmacht zu demonstrieren. Die Soldaten in ihren rot-blauen Uniformen, die Kavalleristen in ihren hohen Stiefeln und den Dreispitzen wirkten zweifellos imponierend.
    »Ein Narrenfest«, zischte Jefe zwischen den Zähnen hervor.
    Dann plötzlich verzerrte sich das bunte Bild. Wie auf ein Kommando ging der nachmittägliche Tropenregen auf Cap-Français nieder, und die Zuschauer, die Soldaten sowie der Delinquent, der in einem weiten weißen Hinrichtungsgewand steckte, waren binnen kürzester Zeit bis auf die Haut durchnässt. Die Schwarzen auf dem Platz ertrugen es stoisch, die Wachen fluchten.
    Jefe machte dagegen ein unauffälliges Siegzeichen in Richtung seiner Männer. Es konnte nicht besser kommen. Das Holz auf dem Scheiterhaufen und der Schandpfahl in seiner Mitte waren nass und würden schlecht brennen. Auch der Mann, der Macandals Kleidung nass machen sollte, wurde nicht gebraucht.
    Bonnie richtete ihren Blick jetzt auf den Schwarzen Messias, den sie zuvor nie gesehen hatte. Ein hagerer, mittelgroßer Mann, nicht sehr beeindruckend – aber er sollte ja erst an Ausdruck gewinnen, wenn er redete … Auf jeden Fall ließ er sich nicht einschüchtern. Hoch erhobenen Hauptes schleppte er sich zwischen seinen Wachen auf den Hinrichtungsplatz zu. Die Ketten an seinen Füßen ließen ihn nur langsam und mühsam vorankommen, doch er wirkte gefasst – sogar ein wenig majestätisch.
    Vereinzelt erhoben sich Hochrufe unter den Sklaven, die aber sofort mit Peitschenschlägen unterdrückt wurden. Macandal wandte den Rufern das Gesicht zu und lächelte.
    »Er ist großartig!«, sagte einer der Schwarzen neben Bonnie andächtig.
    Bonnie überlegte, ob sie die Kanone jetzt schon ausrichten sollte. Dann sagte sie sich jedoch, dass sie Zeit hatte. Der oberste Richter würde erst noch einmal das Urteil verlesen, der Gouverneur jedes Gnadengesuch ablehnen … Kein Grund, jetzt schon das Risiko einzugehen, das Falkonett zu enthüllen.
    Die Militärs ließen Macandal in Ketten, bis sie den Scheiterhaufen erreichten, dann bauten sich sechs bewaffnete Gendarmen um ihn herum auf. Ein Schmied entfernte die Ketten, dann übernahmen die Henkersknechte den Delinquenten sofort. Zur allgemeinen Bestürzung lächelte der Geist, als man ihn so schwer bewacht auf den Scheiterhaufen schleifte.
    »Solch eine Angst habt ihr vor mir!«, ertönte seine weit tragende Stimme. »Solch eine Angst habe ich euch eingejagt, dass ihr hier … wie viele, zwei, drei, vier Regimenter habt aufmarschieren lassen, nur um mich über einen kümmerlichen Marktplatz zu schleifen. Mich, einen einzelnen Mann. Denn das sagt ihr doch immer – nur ein Mann, nichts als ein Mann, kein Geist, kein Messias.«
    Er lachte dröhnend und hob den Kopf, das Regenwasser troff über sein krauses Haar und sein Gesicht, der Baumwollanzug hing schlaff an seiner schmalen Gestalt herunter. Jeder andere hätte einen jämmerlichen Anblick geboten, aber um den Geist schien eine Aureole von Macht zu schweben.
    »Doch ich werde es euch zeigen!

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