Die Insel der roten Mangroven
bei Gérômes Ankündigung fest zusammengepresst hatte, antwortete: »Das wusste er natürlichnicht. Er hat den Sklaven und die Pferde dort seit Stunden in der Sonne warten lassen … bei schlechtem Wind hätten es leicht noch zwei Tage werden können.«
Er sprach in vorwurfsvollem Ton, aber Gérôme achtete nicht darauf. Er winkte den Sklaven bereits heran, der in Livree und Spitzenhemd auf dem Bock saß – eine Uniform, wie die Diener der Fortnams sie nur zu größeren Festlichkeiten anlegten. Der Mann musste darin schwitzen, aber eine Klage hätte er sich bestimmt nie erlaubt. Er fuhr den Wagen jetzt vor, sprang ab und grüßte ehrerbietig, dann öffnete er seiner Herrschaft die Türen. Benoît und Lennie verstauten das Gepäck im Kofferraum der Kutsche. Einige größere Kisten mit Deirdres Aussteuer würden später ins Haus gebracht werden.
»Gehört der Wagen uns?«, wisperte Deirdre ihrem Mann zu, als der Kutscher die Pferde schließlich antreten ließ.
Das Gefährt war überaus nobel, es glänzte in Schwarz und Dunkelrot, die Sitze waren gepolstert und mit Samt überzogen. Auch die Pferde waren elegant – Warmblüter, speziell gezüchtet für die Prunkkarossen der Reichen.
Victor schüttelte den Kopf. »Nein … und ich hoffe, du bist deshalb nicht zu enttäuscht. Aber das ist die Kutsche meiner Eltern, sie … sie brauchen etwas Repräsentatives, und Gérôme scheint das ja auch zu schätzen.« Die letzten Worte sprach er laut genug aus, damit Gérôme sie hörte. »Sonst hätte er die Kutsche nicht gebraucht. Vom Hafen zu unserem Haus hätte eine Droschke gereicht, und den Weg von unserer Plantage bis nach Cap-Français kann man auch reiten. Es sind gerade mal fünfzehn Meilen.«
»Und mein Gepäck hätte ich am Sattel festgeschnallt?«, fragte Gérôme mit kurzem Schnauben. »Wie ein … Viehtreiber? Nein, Victor, ein bisschen Stil muss man als Mitglied der Familie Dufresne schon beweisen. Ich hoffe, du wirst uns nicht gänzlich in Verruf bringen, wenn du demnächst hier praktizierst.« Er hob wieder sein Tuch vors Gesicht, als die Kutsche zwischen Fischständen und Metzgerläden entlangrollte.
Victor konnte darauf nicht viel erwidern. Gérôme hatte tatsächlich viel Gepäck mit nach Cascarilla Gardens gebracht. Nora hatte schon gespottet, er habe wohl eine Aussteuer mitgebracht und wolle damit bei den Fortnams einziehen.
Deirdre entschied auf dieser kurzen Fahrt durch Cap-Français endgültig, dass sie Victors Bruder nicht besonders mochte. Auf Cascarilla Gardens war er ihr charmant erschienen, doch etwas seltsam, mittlerweile fand sie sein Gehabe nur noch albern. Allerdings schienen die Pflanzer auf Saint-Domingue mehr auf Pomp zu setzen als die meist englischstämmigen Plantagenbesitzer auf Jamaika. Die kauften sich zwar Adelstitel, blieben aber einem eher rustikalen Lebensstil treu, während durch Cap-Français nicht nur eine prunkvolle Kutsche rollte. Die Staatskarossen passten zu den repräsentativen, an französische Schlösschen erinnernden Steinbauten, die entlang der breiten Straßen standen, durch die ihr Weg sie jetzt führte. Gérôme wies mitunter kurz darauf hin, wer diese Häuser bewohnte – Namen, die Deirdre zwar nie gehört hatte, die jedoch beeindruckend klangen. Immer wieder kamen ihnen ähnlich noble Gefährte entgegen wie das ihre, und oft grüßten beide Dufresne-Brüder zu den Insassen hinüber.
»Du wirst dich jedenfalls mit einem einfachen Doktorwagen begnügen müssen«, erklärte Victor seiner jungen Frau. Fast alle Ärzte machten ihre Hausbesuche in solchen vierrädrigen, überdachten Zweisitzern mit kleiner Ladefläche. »Aber du hast ja auch noch dein Pferd.«
Alegría hatte die Überfahrt gut überstanden, allerdings war Deirdre etwas besorgt um sie. Schließlich hatte man keinen anderen als Lennie damit betrauen können, sie nach Hause zu führen. An eine Mietdroschke hätte Deirdre sie wahrscheinlich einfach angebunden und den Fahrer angewiesen, entsprechendvorsichtig zu fahren. Bei Gérômes noblem Gefährt wagte sie das jedoch nicht vorzuschlagen. Nicht auszudenken, dass die Stute mit einem Huf oder einem der eisernen Halfterringe gegen die Kutsche stieße und den Lack zerkratzte … Nun, jedenfalls konnte Deirdre nur hoffen, dass Gérômes Diener Benoît, der die Karawane der Sklaven anführte, zumindest ein bisschen Ahnung davon hatte, wie man mit Pferden umging. Vielleicht konnte er Lennie ja unter die Arme greifen.
Der Wagen der Dufresnes rollte
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