Die Insel der roten Mangroven
Gérôme bissig. »Eine der wichtigsten in ganz Saint-Domingue. Ich kann nicht glauben, dass Victor dir den Namen bislang nicht genannt hat …«
»Nun Sie treten erst einmal ein, Madame …« Sabina versuchte die Situation zu entspannen, indem sie ihrer Herrschaft beflissen die Tür aufhielt. »Ich Sie zeigen Haus. Oder nein, erst Erfrischung …« Die Köchin schien mit ihren vielfältigen Aufgaben im Haus tatsächlich etwas überfordert zu sein.
Victor winkte freundlich ab. »Du bereitest eine Erfrischung vor, Sabina, und ich zeige meiner Gattin das Haus«, erklärte er dann, ohne Gérôme weiter zu beachten. »Wir nehmen ein kleines Frühstück auf der vorderen Veranda ein. Ein paar Früchte und Kaffee, Sabina, nichts Großes, es ist ja schon wieder so heiß …«
Sabina nickte erleichtert und floh in die Küche. Gérôme schien so recht nichts mit sich anfangen zu können, weder wirkte er gewillt, Victor bei der Führung durchs Haus zu folgen, noch hatte ihm bislang jemand ein Zimmer angeboten, in das er sich zurückziehen konnte. Aber davon nahmen Victor und Deirdre keine Notiz.
Aufgeregt wie ein Kind erkundete Deirdre ihr neues Haus und war von seinem Inneren ebenso angetan wie vom Äußeren. Das Haus war ähnlich angelegt wie Cascarilla Gardens, allerdings erheblich kleiner. Es gab zwar ein großes Wohn- und Speisezimmer, das sich für Gesellschaften eignete und sich zu dem kleinen Garten hin öffnete, einen Ballsaal hatte das Stadthaus jedoch nicht. Anstelle der Empfangsräume gab es einen Warteraum und Victors Arztpraxis. Natürlich lagen auch die Küche und die Wirtschaftsräume im Erdgeschoss, unterkellert war das Haus nicht. Im ersten Stock fanden sich dann die Wohnräume der Familie, Deirdre betrat ein großzügiges Schlaf- und Ankleidezimmer.
»Es … ist dir doch recht, dass wir das Schlafzimmer teilen?«, fragte Victor vorsichtig.
Deirdre antwortete mit einem Kuss. Auf keinen Fall wollte sie von ihm getrennt leben und nur gelegentlich »besucht« werden.
»An wie viel Nachwuchs hast du denn gedacht?«, fragte sie schelmisch, als sie vier Kinder- und Gästezimmer zählte und noch eine kleine Dienstbotenkammer, die am äußersten Ende des Hauses lag und im Zweifelsfall als zusätzliches Schlafzimmer genutzt werden konnte.
Victor zuckte die Achseln. »Ich nehme, was immer du mir schenkst«, sagte er freundlich. »Aber vorerst habe ich wirklichmehr an Gästezimmer gedacht. Zumindest war es ursprünglich so geplant, dass unser Haus der ganzen Familie Dufresne als Stadthaus dienen sollte. Also musste ich feste Zimmer für meine Eltern und Brüder einplanen. Nun sieht es eher nicht so aus, als würde man uns allzu oft die Ehre geben. Gérôme zumindest ist von unserem ›primitiven‹ Domizil entsetzt, und meine Eltern haben es noch gar nicht gesehen. Jedenfalls nehme ich an, dass alle weiterhin lieber die Gastfreundschaft des Gouverneurs und anderer Honoratioren des Ortes in Anspruch nehmen werden, als sich hier einzurichten. Da wird es sowieso noch Unstimmigkeiten geben. Wenn ich Gérôme richtig verstanden habe, wollte die Familie die Residenz in der Hauptstadt hauptsächlich, um dort Bälle oder Empfänge veranstalten zu können. Und das geht hier ja wirklich nicht …«
Deirdre schüttelte den Kopf. »Dafür hätten wir auch gar nicht genug Personal«, meinte sie.
Victor lächelte nur milde. »Wenn meine Eltern mit dem gesamten Hofstaat anreisen, hast du Personal im Überfluss«, erklärte er. »Für den Hausbau hat mein Vater Dutzende von Feldnegern hier herübergeschickt. Zum Glück war der Architekt, was die Planung betraf, letztlich auf meiner Seite. Seine Frau hatte eine schwere Geburt, und ich habe sie erfolgreich von Zwillingen entbunden. Danach hat er eingesehen, dass Praxisräume wichtiger sein können als Ballsäle.«
»Wann lerne ich deine Eltern denn mal kennen?«, fragte Deirdre, inzwischen fast etwas ängstlich. »Und was können wir tun, damit sie sich bei uns wohlfühlen? Es wäre sicher nicht gut, wenn wir gleich mit ihnen streiten, wenn sie hier anreisen.«
Victor strich ihr eine Locke aus dem Gesicht, die sich aus einem an diesem Tag nur leger aufgesteckten Haarknoten gelöst hatte. »Liebste, Madame und Monsieur Jacques Dufresne werden sich nicht der Mühe einer Reise unterziehen, nur um ihre Schwiegertochter kennenzulernen. Die bitten nicht um Audienz,Deirdre, sie gewähren sie höchstens. Ich denke, wir werden gleich am nächsten Wochenende zu ihnen hinausfahren.
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