Die Insel der roten Mangroven
Zuckerrohr als drittes Standbein. Ich glaube, das hat mein Vater ihm jetzt auch gestattet.«
»Und Gérôme?«, erkundigte sich Deirdre. »Was macht der? Hat er einen Beruf?«
Victor lachte. »Kannst du dir da irgendetwas vorstellen?«, neckte er sie. »Nein, offiziell beteiligt sich Gérôme lediglich an der Führung der Plantage. Wobei da wirklich ein Mann ausreichen würde, die eigentliche Arbeit machen schließlich ohnehin die Aufseher und die Sklaven. Gérôme ist auch mehr auf gesellschaftlichem Parkett unterwegs. Wenn du mich fragst, sucht er nach einer reichen Erbin, die eine eigene Plantage mit in die Ehe bringt.«
Deirdre hätte über die heiratsfähigen Mädchen in der Umgebung von Nouveau Brissac ganz gern noch mehr erfahren. Letztendlich waren das ihre Rivalinnen um die Gunst Victorsgewesen. Ihr Mann interessierte sich jedoch kaum für den Klatsch und war nach seinen Studien im Ausland auch nicht auf dem neuesten Stand. Er unterhielt Deirdre jetzt mit Informationen über den Tabakanbau. Im Gegensatz zum Zuckerrohr war Tabak nur einjährig. Nach der Saat wartete man, bis die Setzlinge umgepflanzt werden konnten, dann musste man sie aufwendig pflegen. Unkraut wurde gejätet, Seitentriebe wurden entfernt und die Blüten abgeschnitten, damit die gesamte Energie der Pflanze den Blättern zugute kam. Schließlich wurde geerntet, nach und nach in mehreren Durchgängen. Man pflückte zunächst die unteren, dann die oberen Blätter.
»Es ist nicht ganz so anstrengend wie das Zuckerrohrschneiden«, meinte Victor, »weshalb man auch Frauen und Kinder dazu einsetzt. Ebenso wie beim Trocknen und Fermentieren. Das trifft im Übrigen genauso auf Kaffee zu, auch da werden bei der Ernte gern Frauen beschäftigt. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb Gisbert zusätzlich Zuckerrohr anbauen will. Er meint, die männlichen Sklaven seien unterbeschäftigt.«
»Wie viele Feldsklaven habt ihr denn?«, fragte Deirdre. Sie wunderte sich etwas über den scharfen Ton, in dem Victor antwortete.
»Mein Vater«, berichtigte er, »hat über vierhundert Feldsklaven.« Es war ihm offensichtlich wichtig, mit dem Besitz dieser Menschen nichts zu tun zu haben.
Deirdre sah die Leute dann auch bald im Einsatz, die Tabakernte war in vollem Gange. Der Wagen der Dufresnes fuhr an Arbeitskolonnen vorbei – an schwarzen Frauen und Mädchen in weiten Röcken und verwaschenen Blusen, das Haar unter Turbanen versteckt. Die Arbeiterinnen schufteten gebückt, um die untersten Blätter der ausladenden Pflanzen zu entfernen. Männer und kleine Jungen in verschlissenen weiten Baumwollhosen und ohne Hemden schleppten mit Blättern gefüllte Körbe zu den Sammelstellen, und wie auf Jamaika sah man auch hier aufso manchem Rücken die Narben von Peitschenhieben. Es war brütend heiß, der Schweiß der Sklaven floss in Strömen, während der zugehörige Aufseher gelassen im Schatten der größeren Tabakpflanzen auf seinem Pferd oder Maultier saß. Es war nicht nötig, dass er ständig die Peitsche schwang, seine Anwesenheit genügte, um die Arbeiter einzuschüchtern. Deirdre fand den Anblick wie immer deprimierend. Die Schwarzen sahen kaum auf, wenn ihr Wagen vorbeirollte, die Aufseher pflegten zunächst beiläufig, dann äußerst ehrerbietig zu grüßen.
»Dufresne-Land«, bemerkte Victor kurz, als ihm der erste dieser Grüße zuteil wurde. »Hier beginnt Nouveau Brissac. Der Name geht übrigens auf ein Schloss an der Loire zurück, falls dich mal jemand fragt. Nicht, dass mir wieder vorgeworfen wird, ich hätte dich nicht in die Familiengeheimnisse eingeweiht.«
Deirdre lachte. »Dann sind wir bald da?«, fragte sie hoffnungsvoll. Ihr war heiß, und das Pferd trabte für ihre Verhältnisse zu langsam. Victor schüttelte allerdings den Kopf. »Noch fast eine Stunde, Liebste. Dies ist eine große Pflanzung. Hier siehst du übrigens Kaffeesträucher …«
Als groß erwies sich schließlich auch das Haupthaus der Plantage, das inmitten eines weitläufigen Parks lag. Deirdre bestaunte die Anlagen, anscheinend hatte sich Jacques Dufresne tatsächlich ein Schloss zum Vorbild genommen. Deirdre dachte gleich an Versailles und seine Gärten. Die Anlage in Frankreich konnte kaum imponierender sein als diese hier auf Hispaniola. Etliche Gärtner waren damit beschäftigt, Blumen zu setzen und Hecken zu beschneiden. Das üppige Grün der Karibik in die streng symmetrischen Formen zu bringen, die für den französischen Schlosspark typisch waren, war
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