Die Insel Der Tausend Quellen
Nora, während wir ziellos in der Gegend herumreiten.« Er zog Amigos Sattelgurt nach.
»Umso größer ist aber doch die Gefahr eines Hinterhalts, oder?«
Nora war noch nicht überzeugt. Und sie hatte ihre Zurückhaltung jetzt aufgegeben. Gut, sie hatte Angst um ihn, aber das hieß ja nichts. Er hatte Recht, er war ihr Stiefsohn, ihr Verwandter. Sie durfte sich um ihn fürchten.
Doug nickte, wieder mit leichtem Lächeln. Noras Besorgnis freute ihn sichtlich, endlich gab sie diese Reserviertheit mal auf, die ihn manchmal schon an seiner Männlichkeit hatte zweifeln lassen. Bisher hatte er noch nie ein Mädchen so lange umwerben müssen. Andererseits hatte er es selten bei verheirateten Frauen und natürlich nie mit einer Stiefmutter versucht …
»Die Maroons könnten uns jederzeit in einen Hinterhalt locken und niedermetzeln«, meinte er dann. »Aber das werden sie nicht tun. Es wäre äußerst ungeschickt.«
»Ungeschickt?«, rief Nora aufgebracht.
Doug lachte. »Schon mal was von strategischem Denken gehört, schöne Stiefmutter? Schau, Nora, mein Vater und die anderen Pflanzer stellen die Maroons dar wie mordlüsterne Wilde, aber wenn man es mal nüchtern betrachtet, geht es denen gar nicht darum, Weiße niederzumetzeln und Sklaven zu befreien. Wenn sie Pflanzungen überfallen, wollen sie in erster Linie Beute. Gut, sie bringen die Pflanzer um – sie hegen zweifellos einen Hass auf weiße Plantagenbesitzer. Aber viel wichtiger als Blutvergießen ist ihnen das Plündern der Häuser und das Wegtreiben des Viehs.«
»Was ja auch nicht gerade nett ist«, murmelte Nora.
»Granny Nanny würde jetzt wahrscheinlich sagen, es bliebe ihnen einfach keine andere Wahl«, meinte Doug. »Nora, nach allem, was man hört, haben die da oben ein funktionierendes Gemeinwesen. Sie bestellen ihre Felder, und sie würden ihre Erträge gern verkaufen. Von dem Geld könnten sie sich Werkzeuge erhandeln, neues Zuchtvieh, Kleidung … was man so braucht. Aber das können sie nicht. Würden sie mit ihren Gütern in die Stadt kommen, würde man sie angreifen, einfangen, versklaven oder gleich lynchen. Also begehen sie Raubzüge und stehlen, was sie brauchen – zu allgemeinem Missvergnügen, wenn du mich fragst. Ein paar ehemalige Sklaven wollen zweifellos Rache, aber die große Mehrheit dieser Leute würde lieber von ihrer Hände Arbeit leben. Das sind Bauern, Nora, keine Krieger. Den Händlern in der Stadt wäre es zudem egal, mit wem sie Geschäfte machen – und es werden ja auch welche gemacht, irgendwo tauchen das Geld und der Schmuck, der bei den Überfällen gestohlen wird, immer wieder auf. Und die Hehler sind weiße Gauner! Um die würde ich mich lieber kümmern als um die Maroons!«
»Du meinst also, sie wären zu Verhandlungen bereit?«, fragte Nora. An den weißen Hehlern in Kingston war sie weniger interessiert, die bedrohten schließlich nicht Dougs Leben. »Das war nicht so dahingesagt, vorhin?«
Doug schüttelte den Kopf. »Es gab immer mal Vorstöße zu Verhandlungen mit den Maroons. Auch durchaus erfolgreich. Lange Zeit wurden zum Beispiel entflohene Sklaven nicht aufgenommen, sondern ausgeliefert.«
Nora dämmerte langsam, warum Máanu und die anderen Sklaven nicht allzu gut auf die Maroons zu sprechen waren.
»Allerdings hat sich die Lage geändert, seit Nanny und ihre Brüder in den Bergen das Sagen haben«, schränkte Doug ein. »Mit denen wurde noch nicht verhandelt. Auch, weil die Überfälle am Anfang sehr grausam waren und weil es ihnen offensichtlich darum ging, ihre Bevölkerung zu vergrößern, auch durch Aufnahme von Plantagennegern. Das hat viele Gründe. Aber es heißt nicht, dass kein Friedensvertrag möglich wäre. Und ganz sicher lehnen Cudjoe und Accompong Verhandlungen auch nicht grundsätzlich ab. Weshalb sie den Teufel tun und jeden Weißen, der in ihre Berge kommt, in einen Hinterhalt locken und in Stücke hacken würden. Im Gegenteil, wenn sie klug sind, zeigen sie sich gar nicht. Nichts ist zermürbender für so eine Möchtegernarmee wie unsere, als tagelang hilflos in den Bergen herumzuirren und dann ergebnislos heimzukehren. Glaub mir, Nora, mir passiert nichts. Aber trotzdem … Du könntest mir eine Art … hm … Abschiedskuss geben. Nur für alle Fälle. Damit ich die Süße deines Kusses auf den Lippen spüre, falls ich sterbe.«
Nora wollte zurückweichen. Aber Doug hatte sie schon an sich gezogen und seine Lippen auf die ihren gedrückt.
»Denk an mich, bis wir uns
Weitere Kostenlose Bücher