Die Insel Der Tausend Quellen
Kenntnis zu setzen. Ihre Jüngste, so vermutete sie, war wohl gemeinsam mit ihrem Peiniger gestorben – oder vorher durch seine Hand. Und Máanu würde ihre Mutter dafür ihr Leben lang hassen.
Am nächsten Tag lagen bleiernes Schweigen und rauchgeschwängerte Luft über den Resten von Cascarilla Gardens. Christopher Keensley und Lord Hollister hatten die Tischler unter ihren Sklaven noch in der Nacht gezwungen, provisorische Särge für die Toten zu erstellen – ein weiterer Blick auf die Brandopfer sollte Doug Fortnam erspart bleiben. Dennoch konnte er sich kaum zwingen, die Augen von den schlichten Holzkisten abzuwenden, als er sich schließlich aufraffte, die Ruine des Hauses zu inspizieren. Er konnte nach wie vor nicht glauben, dass Nora in einem dieser Särge sein sollte. Sie war doch so lebendig, so zärtlich, so wach und liebevoll gewesen. Doug haderte mit Gott und den Geistern. Hatte Simon Greenborough sich doch für seine verlorene Liebe gerächt? Oder war dies der Schlag gewesen, den Gott längst hätte gegen Elias Fortnam führen müssen?
Doug versuchte, seine Aufmerksamkeit auf das Haus zu lenken. Es würde nicht allzu schwer sein, es wieder aufzubauen. Sofern er das wollte. Aber eigentlich hatte es ihm nie gefallen. Die strenge Architektur des englischen Herrenhauses, die Säulen und Treppen – für Doug passte dies alles nicht zu Jamaika. Aber vorerst war ihm auch nicht nach den verspielten bunten Türmchen und Terrassen der spanisch beeinflussten Kolonialarchitektur. Vorerst würde eine Hütte genügen … Er hörte Noras Stimme … Und wir bauten uns eine Hütte aus Bambus und deckten sie mit Palmblättern. Ich flocht eine Hängematte, und er liebte mich darauf im Mondlicht …
Doug hätte ihr gern ihre Hütte gebaut. Am Strand, am Meer … Warum nur hatte er sie alleingelassen? Er verfluchte die Panik und die Wut, die ihn aus dem Haus getrieben hatten. Wobei er sich noch so oft sagen konnte, dass er nichts für Nora hätte tun können. Bislang hatte kein einziger Pflanzer einen Überfall der Maroons überlebt. Die Männer waren stets in der Übermacht, hervorragende Kämpfer und gänzlich skrupellos. Doug hätte lediglich gemeinsam mit Nora sterben können.
Aber auch das erschien ihm im Moment die bessere Alternative zu dem verzweifelten Gefühl der Leere und Dunkelheit, das ihn vollständig lähmte. Doug ließ sich mutlos auf einer rußgeschwärzten Stufe der Eingangstreppe nieder. Am liebsten hätte er sich irgendwo versteckt und sich ganz seiner Trauer überlassen, aber die Welt um ihn herum stellte gnadenlos Ansprüche. Gleich würde er sich um die Sklaven kümmern müssen … die Trauerfeier …
Doug starrte auf den sauber geharkten Kies der Einfahrt, der durch den Brand nicht gelitten hatte, sondern noch so ordentlich und normal wirkte wie am Tag zuvor. Irgendetwas blitzte dort jetzt in der Sonne auf, das kein Kiesel sein konnte … Doug erhob sich mühsam. Feucht vom Morgentau, aber schon warm von der Sonne lag dort Noras Gemme. Er nahm das Schmuckstück auf, und es fühlte sich fast so an, als habe Nora es eben von ihrem Hals genommen.
Dougs Herz klopfte heftig. Sie hatte es am Abend zuvor getragen, auch während sie einander geliebt hatten. Und dann damit gespielt, als sie ihm von Simon erzählte.
Doug fragte sich, ob der Fund irgendetwas zu bedeuten hatte – aber er wusste, dass er sich damit nur selbst etwas vormachte. Das Seidenband, an dem das Schmuckstück gehangen hatte, war zerrissen. Zweifellos hatte es jemand von Noras Hals gezerrt, bevor man sie getötet hatte. Die Maroons waren als gründliche Plünderer bekannt. In den Herrenhäusern, die sie überfielen, verbrannte nichts von erkennbarem Wert. Ganz sicher hätten sie kein Schmuckstück dagelassen. Aber dieses hier musste einer der Mörder bei seiner raschen Flucht verloren haben … Doug legte die Hand darum und fühlte sich fast etwas getröstet. Nora hatte dieses Schmuckstück geliebt – und nun würde es ihn für immer an sie erinnern.
Erfüllt von neuer Kraft machte er sich auf den Weg zum Sklavenquartier.
Keensley hatte Doug gleich am Morgen erneut zwei Aufseher vorbeigeschickt – schließlich musste er doch inzwischen zur Vernunft gekommen sein und bereit, Hilfe bei der Bewachung seiner Sklaven anzunehmen. Doug lehnte sie allerdings weiter konsequent ab. Stattdessen ernannte er Kwadwo zum Busha, wie man die wenigen schwarzen Dorfvorsteher nannte.
»Vorerst gibt es keine Arbeit«, sagte er müde. »Ich …
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