Die Insel Der Tausend Quellen
hatte sich seine Ausgrenzung nicht lange gehalten. Im Gegenteil, im Stillen beneideten ihn viele von ihnen. Schließlich war er nicht der Einzige, der als Sklave gelegentlich lüstern auf die marmorweiße Haut der Pflanzerfrauen gestiert hatte.
»O ja«, bestätigte er jetzt. »Der Gouverneur weiß das genau. Und seine Truppen haben zigmal versucht, die Städte einzunehmen. Aber vergeblich. Jeder Angriff wurde zurückgeschlagen. Das passt ihm natürlich nicht. Deshalb tut er so, als hätte er keine Ahnung, wo wir uns verstecken.«
Nora verspürte etwas wie Wut. Es konnte nicht sein, dass diese kleine Frau Nanny und ihre Brüder dem gesamten britischen Empire trotzten. Aber Doug und die anderen Pflanzer waren im letzten Jahr auch hilflos durch die Berge geirrt. Andererseits mochte es recht klug vom Gouverneur sein, sein Wissen vor den Zuckerbaronen geheim zu halten. Nach allem, was Doug von ihrer Strafexpedition erzählt hatte, war das Schweigen der Krone sogar lebensrettend – man brauchte kein großer Stratege zu sein, um zu wissen, dass die Verteidiger von Nanny Town die bunt zusammengewürfelte Truppe in kürzester Zeit aufgerieben hätten. Natürlich hätten die Maroons das auch so gekonnt, ein Hinterhalt irgendwo in den Bergen wäre leicht zu organisieren gewesen. Aber langsam verstand sie die vielfältigen Beziehungen und stillschweigenden Übereinkommen, die trotz aller Erbfeindschaft zwischen den freien Schwarzen und der Regierung von Jamaika bestanden. Zum Beispiel die Sache mit den Strafexpeditionen der Pflanzer: Der Gouverneur unterstützte sie nicht, die Maroons griffen sie nicht an.
Und während Nora ihrem neuen »Herrn« half, das Feuer auszutreten, und dann die Plackerei anging, das neue Land von den Wurzeln der eben abgebrannten Vegetation zu befreien, begriff sie auch, weshalb sich Nanny und Quao um ihre eigene Rolle in diesem Zwist sorgten. Gelegentliche Überfälle, auch verbunden mit Raub und Mord, nahm der Gouverneur zähneknirschend hin. Wenn die Schwarzen jedoch begannen, Weiße als Sklaven zu halten, würde der Druck zu stark werden. Nora hoffte auf Doug. Er konnte die Zuckerbarone mobilisieren und den Gouverneur zwingen, alle Macht der Krone einzusetzen, um die weiße Frau aus den Händen der Maroons zu retten. Wenn er nur nicht so dumm und unbedacht war wie die anderen Pflanzer und seine Wut in einer sinnlosen Strafexpedition verpuffen ließ!
KAPITEL 4
L ord Hollister, Keensley und die anderen Pflanzer der Region drängten auf eine Strafexpedition gegen die Maroons, kaum dass die Begräbnisfeierlichkeiten auf Cascarilla Gardens beendet waren. Sie reagierten empört, als Doug Fortnam sich weigerte, sich ihr anzuschließen.
»Hier hätten Sie doch die Möglichkeit, Rache zu üben, junger Mann!«, warf ihm Keensley vor. »Oder wollen Sie die Kerle damit durchkommen lassen, unsere Männer zu töten und unseren Besitz niederzubrennen?«
Doug wollte ihn heftig daran erinnern, dass man auch um eine Frau trauerte, aber dann hielt er sich zurück. Sein Verhältnis zu Nora jetzt noch öffentlich zu machen, war wirklich das Letzte, was er wollte. Also ballte er nur im Stillen die Fäuste und schüttelte den Kopf.
»Hat so eine Strafaktion je irgendetwas bewirkt?«, fragte er. »Ja, sicher, die Männer schnappen schon mal so einen armen schwarzen Teufel und lassen ihn in Kingston henken. Aber das sind doch keine Maroons, das sind weggelaufene Sklaven auf dem Weg in die Berge …«
»Da henkt man also keine Falschen!«, trumpfte Lord Hollister auf.
Doug rieb sich die Stirn. »Aber auch nicht die Verantwortlichen für die Überfälle. Gegen die Maroons helfen keine Strafexpeditionen. Die wohnen nicht in Zeltlagern, die haben Städte und Verteidigungsanlagen. Wir müssten Truppen ausheben und einen Krieg entfesseln. Und dafür, habe zumindest ich weder den Drang noch die Mittel. Wirken Sie auf den Gouverneur ein, wenn Sie sich etwas davon versprechen. Aber ich habe hier Wichtigeres zu tun. Ich habe keine Zeit, ziellos durch die Berge zu irren, um vielleicht einen oder zwei Schwarze zu erschießen, während hier alles drunter und drüber geht.«
»Aber wir sind es Elias’ Andenken schuldig!«, trumpfte Lord Hollister auf.
Doug verkrampfte erneut die Hände unter dem Tisch. Er selbst hatte nicht das Bedürfnis, den Tod seines Vaters zu rächen. Elias hatte genau das bekommen, was er verdient hatte. Wenn da nicht Nora gewesen wäre …
»Machen Sie, was sie wollen«, beschied er schließlich
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