Die Insel Der Tausend Quellen
Dieser unsägliche Reverend Stevens … Wie könnte ich seinen Gott anbeten?«
»Bist du sonst irgendwas?«, erkundigte sich Máanu.
Ihr Gesicht wirkte jetzt fast spitzbübisch, ähnlich dem ihrer Schwester Mansah.
»Ich hab mal für den Obeah-Mann ein Huhn gestohlen«, gestand Akwasi, ohne auf die näheren Umstände einzugehen.
»Das zählt nicht«, meinte Máanu. »Obeah ist … Obeah ist nur ein bisschen Zauberei. Aber Nanny, die hat eine richtige Religion. Sie hat mir davon erzählt. Die Ashanti hatten mächtige Götter.«
»Und?«, fragte Akwasi.
Máanu lächelte. »Die Götter unserer Vorfahren erlauben großen Kriegern mehrere Frauen …«
»Du hast es dir also anders überlegt?«, fragte Tolo und setzte sich neben Nora.
Sie war zu der großen Zeremonie geladen worden, in der Granny Nanny nach Tradition der Ashanti Akwasi und Máanu miteinander verbinden wollte. Máanu gehörte nach wie vor zu den besonderen Vertrauten der Queen, und sie ließ es sich nicht nehmen, ein Fest für sie zu feiern, an dem ganz Nanny Town teilhaben sollte.
»Du bist doch noch schwanger, nicht wahr?«
Nora nickte widerwillig und drückte sich in den Schatten der Büsche, unter denen Tolo Schutz vor der brennenden Sonne suchte und sie selbst eher ein Versteck vor den Augen der anderen Frauen. Seit Tagen verlangte man ihr wieder einmal Fronarbeit ab, Tag und Nacht wurde für die Hochzeit gebacken und gekocht, geschlachtet, gebraten und gebraut. Nora kam kaum zur Ruhe – und sie blieb vor allem keine Sekunde ohne Aufsicht. Inzwischen wusste jede Frau in Nanny Town, dass Akwasis Sklavin schwanger war. Sie hatte abtreiben wollen, aber Akwasi bestand darauf, dass sie das Kind austrug. Besonders die früheren Sklavinnen, die erlebt hatten, was ihre Backras taten, um sie selbst zum »Züchten« zu zwingen, waren nur zu bereit, ihn dabei zu unterstützen. Natürlich tuschelte man darüber, dass er trotzdem eine andere Frau nahm – nur die Afrikanerinnen aus Stämmen, in denen Vielweiberei üblich war, und die Musliminnen fanden sein Verhalten selbstverständlich: Eine erste Frau hatte immer mehr Rechte als eine zweite. Es war undenkbar, dass Akwasi zunächst eine Sklavin erhöhte und dann die Ehe mit einer Gleichgestellten einging.
Nora war die Reihenfolge eher recht: Sie betrachtete eine Zwangsehe mit einem früheren Sklaven nicht als rechtsgültig und hoffte, irgendwann befreit zu werden, um in ihre eigene Welt zurückkehren zu können. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Obrigkeit in Kingston das genauso sah, stieg mit dem Status als Zweitfrau.
»Es war nicht meine Entscheidung«, meinte sie jetzt. »Ich hab’s falsch gemacht, ich hätte Ihren Trank gleich schlucken müssen. Jetzt lassen sie mich nicht mehr aus den Augen.«
Nora erhob sich seufzend, als eine der Maroon-Frauen einen Ast des Busches zur Seite schob, sie dahinter entdeckte und vorwurfsvoll ansah.
Tolo zuckte die Schultern. »Nimm’s als den Willen der Götter«, meinte sie gleichmütig. »Sie trägt aber noch kein Kind?«
Sie wies auf Máanu, die man eben, unter Gesängen und Segenswünschen, in Nannys Rundhütte führte.
Nora schüttelte den Kopf. »Bis jetzt noch nicht. Sie kommen ja morgen erst zusammen. Aber sie will eins – und wie es aussieht, bekommt sie immer, was sie will.« Sie warf Máanu einen wütenden Blick zu.
»Das macht nicht unbedingt auch glücklich«, meinte Tolo gelassen. »Zumal wenn man so seltsame Wünsche hat. Und übrigens: Es entspricht ihrem Willen, dass ich heute hier bin. Ich bin eine Dogon, wie Máanus Mutter. Und sie besteht darauf, nach unseren Bräuchen auf die Hochzeit vorbereitet zu werden. Er auch, also ihr Mann, obwohl Nanny sicher versucht hat, es ihm auszureden. Bei den Ashanti ist es nicht üblich. Aber dieser Nigger würde am liebsten alle afrikanischen Bräuche wieder aufleben lassen, an die sich nur irgendjemand erinnert, egal aus welcher Gegend sie kommen und von welchem Stamm. Dabei ist Akwasi im Innern weißer als du.« Mit diesen unverständlichen Worten erhob sich Tolo. »Ich werde denn also meines Amtes walten – und du betest für Máanu.«
Die alte Hebamme und Heilerin verschwand in Nannys Hütte. Nora blieb verwirrt zurück. Warum sollte sie für Máanu beten? Gleichmütig begab sie sich zurück an ihre schweißtreibende Arbeit – Nora war zum Drehen des Bratspießes eingeteilt, an dem ein ganzer Ochse über dem Feuer garte. Allein der Geruch verdarb ihr den Appetit auf das spätere Festmahl. Nach wie
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