Die Insel Der Tausend Quellen
brauchen keinen Handel zu treiben …«
»Und was tun sie den ganzen Tag?«, fragte Dede und kaute an einer Mango. Sie liebte frische Früchte, der Verzicht auf Bohnen und Fladenbrot würde ihr offensichtlich nichts ausmachen.
Nora lachte. »Oh, sie machen Musik und erzählen sich Geschichten … Sie schwimmen im Meer … Eines Tages muss ich dir das Meer zeigen, meine Süße, du glaubst nicht, wie groß und schön es ist! Und wenn der Mond sich darin spiegelt …«
Dede kuschelte sich in ihre Arme und ließ sich von Noras Worten einlullen.
»Und manchmal nimmt der Prinz dich auch mit auf sein Schiff, vielleicht mögt ihr sogar mal nach England segeln und auf den Bällen des Königs tanzen …«
Dede lächelte. Sie tanzte gern. Eine Sache war allerdings noch zu klären: »Kann Jefe wohl der Prinz sein?«
Nora schwieg. Auf diese Frage ihrer Tochter mochte sie keine Antwort geben.
Während sie Dede die Zukunft in leuchtenden Farben schilderte, beschwor Nora für sich selbst eher Szenen der Vergangenheit. Die Zeit mit Doug Fortnam sparte sie jedoch aus, es tat zu weh, daran zu denken, wie sehr er sie verraten hatte. Wenn sie sich gestattete, ihrer Wut freien Lauf zu lassen, brachte sie manchmal sogar Verständnis für Akwasi auf. Hatte Doug damals wirklich nichts tun können, um seinen Freund zu retten? Oder hatte er sich das nur eingeredet, genau wie er es sich jetzt zweifellos einredete, Nora nicht helfen zu können? Doug musste den Überfall der Maroons überlebt haben – Nora war sich sicher, dass Akwasi mit seinem Tod geprahlt hätte, wenn er den Nachzüglern doch noch ins Netz gegangen wäre. Also musste er auch wissen, dass Nora lebte – und sie war sicher, dass es ihm nicht an Mitteln fehlte, einen Befreiungsversuch zu wagen. Doug hatte Elias’ Vermögen und die ertragreiche Plantage geerbt, er hätte eine ganze Armee ausheben können, um Nanny Town anzugreifen! Nora hätte das jedenfalls getan, wenn sie ihn in Gefangenschaft gewusst hätte.
Aber Doug schien ihr Schicksal ja egal zu sein. Auch jetzt noch kämpfte sie mit den Tränen, wenn sie sich erlaubte, darüber nachzugrübeln. Es war besser, das gleich zu lassen und alles zu vergessen, was mit Doug zusammenhing. Sein Gesicht, seine kräftige Gestalt, sein Grübchenlächeln, seinen verwegenen Reitstil und seine gewaltigen Schwimmstöße, seine Umarmungen am Strand, seine Küsse … die letzte Nacht auf Cascarilla Gardens …
Besser beschwor sie erneut Simons treuen Geist. Nora dachte an ihre Spaziergänge in den Londoner Parks, ihre Träume von der Südsee – und sie holte ihn in ihr manchmal so tristes Leben in Nanny Town. Das war einfacher, wenn Akwasi nicht bei ihr war – verständlicherweise floh Simons Geist vor seiner lauten und immer noch rücksichtslosen Anwesenheit. Aber in den Wochen, die Akwasi in den Blue Mountains herumreiste, oder in den viel zu seltenen Nächten, die er mit Máanu verbrachte, träumte sich Nora Simon an ihre Seite. Sie stellte sich vor, dass Dede seine Tochter war, und sie beide beobachteten sie beim Spielen. Er versicherte Nora, wie schön Dede war und wie sehr sie ihrer Mutter glich, und Nora wiederholte dem Kind die Märchen, die er ihr erzählte. Nachts lag er neben ihr, und sie dachte an seine vorsichtigen, sanften Umarmungen. Manchmal schaffte sie es, die Nacht mit Doug zu beschwören, aber Simon an seine Stelle zu setzen. Danach fühlte sie sich stets etwas schuldig, als hätte sie beide betrogen. Aber die Träume machten ihr Leben farbiger und schöner. Es gab Tage, an denen Nora sich fast als glücklich bezeichnete.
»Eine ganze Familie?«, fragte Mansah mit vollem Mund.
Auch sie liebte Mangos, die jetzt, in der Mittagspause, auf willkommene Weise den Durst stillten. Die Frauen hatten sie eben frisch geerntet und saßen nun wieder mal im Schatten ihrer Lieblingsbäume, um Neuigkeiten auszutauschen.
»Ja«, bestätigte Keitha. Die große schwarze Frau, die ihr Haar zur Gänze unter einem roten Turban versteckte, mischte sich sonst selten in die Gespräche der Frauen. Sie war eine befreite Feldsklavin, drei Jahre vor dem Überfall der Maroons auf ihre Plantage aus Afrika geraubt. Wie alle in ihrem Heimatort war sie Muslimin und hatte sich noch auf der Plantage mit einem Mann ihres Glaubens zusammengetan, der auf demselben Schiff mit ihr nach Jamaika gekommen war. Nun lebte sie mit ihm in Nanny Town – geduldet wie die wenigen anderen Muslime, aber stets etwas abseits der Gemeinde.
An diesem Tag hatte
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