Die Insel Der Tausend Quellen
Plätteisen stand auf dem Tisch. Nora erinnerte sich mit Scham an den Tag, an dem er ihr gestanden hatte, dass er sich selbst um seine Kleidung kümmerte. Sie hatte ihn ausgelacht, weil er die Arbeit einer Wäscherin und Büglerin tat, und befürchtet, dass ihr Liebster doch etwas geizig sein mochte. Aber jetzt sah sie Simons harte Wirklichkeit – und dann endlich ihren Liebsten selbst auf der schlichten Bettstatt, die er aus unerfindlichen Gründen so nah wie möglich an den kalten Kamin gerückt hatte. In dem Ofen hatte schon lange kein Feuer mehr gebrannt. Und Simon lag zusammengekrümmt unter seiner dünnen Decke, verzweifelt bemüht, die geringe Wärme zu halten, die sie ihm spendete.
Nora lief auf ihn zu – und erschrak erneut, als sie in sein eingefallenes, fiebrig gerötetes Gesicht blickte.
»Simon! Warum sagst du denn niemandem, dass du krank bist? Warum hast du mich nicht benachrichtigen lassen? O Gott, Simon, du brauchst einen Arzt!«
Simon öffnete die Augen – sie waren rotgerändert und glasig vom Fieber, aber sie leuchteten auf, als er Nora erkannte.
»Nora … du … du bist es … oder … ein Traum …«
Nora lächelte und kämpfte mit den Tränen. Dies hier war schlimm. Viel schlimmer, als sie es sich je hätte vorstellen können.
»Nein, ich bin es wirklich!«, sagte sie fest und streichelte über Simons Haar. Es war schweißfeucht, obwohl er vor Kälte schlotterte. »Und jetzt werde ich mich um dich kümmern. Das hätte ich längst tun sollen … Himmel, Simon, du zitterst ja …«
»Es ist kalt …«, flüsterte Simon.
Er trug nur ein Hemd, das gleiche, in dem er bei Noras Vater vorstellig geworden war. An diesem Abend war er durchnässt, gedemütigt und mutlos auf seinem Bett zusammengebrochen und am nächsten Morgen mit Fieber erwacht. Er hatte es gerade noch geschafft, sich Jacke und Hose zu entledigen, dann war er erneut hustend aufs Bett gesunken. Er wusste kaum, wie er die ersten Tage überstanden hatte, bevor Bobby mit der Kündigung vorbeikam. Simon meinte sich dunkel zu erinnern, dass ihm die Tochter seiner Vermieterin gelegentlich zu essen heraufbrachte. Seit Bobby da gewesen war, schaute sie regelmäßig nach ihm – einmal täglich. Allerdings kontrollierte Mrs. Paddington, seit sie wusste, dass Simon krank im Bett lag, genau, was ihre Tochter trieb. Die mitleidige kleine Joan schmuggelte folglich nur noch manchmal dünne Biersuppe oder einen Brocken Brot hinauf.
Nora nahm ihre Mantille ab und legte sie Simon um.
»Wir müssen diesen Kamin befeuern!«, bestimmte sie dann – erstaunt über sich selbst. In den Romanen, die sie las, hätte die Heldin ihren Liebsten jetzt erst mal in die Arme geschlossen, und er hätte ihr versichert, dass allein ihre Liebe ihn umgehend heilen würde. Aber für Nora hatte das Abenteuer geendet, als sie diese Mansarde betrat. Jetzt forderte sie die Wirklichkeit, und da brauchte Simon weniger Küsse und Zärtlichkeiten als Decken, warmes Essen, ein Kaminfeuer und einen Arzt. »Kannst du irgendwo Holz besorgen, Bobby?«
Simon schüttelte den Kopf. »Qualmt …«, flüsterte er. »Er qualmt und rußt … Keine Wärme …« Er hustete, während er die Worte ausstieß.
Nora sah sich hilfesuchend zu Bobby um. »Was machen wir denn da?«, fragte sie ratlos.
Bobby zuckte die Schultern. »Kaminkehrer«, sagte er knapp. »Kann ich vorbeigehen. Wenn Sie …« Er machte eine Geste, die »Kostet aber Geld« signalisierte.
Nora gab ihm ein paar Pennys. »Reicht das?«, fragte sie unsicher.
Bobby verdrehte die Augen. »Das reicht für dreimal, Miss … Und noch für ’n paar andere Sachen … Lassen Se mich mal machen … Aber jetzt muss ich wirklich … Mr. Simpson wartet.«
Der Junge verzog sich zu seiner Arbeit, aber Nora hörte ihn auf der Treppe noch mit Mrs. Paddington reden. Sie antwortete zänkisch, dass dies hier wohl kein Hotel wäre und sie keine Dienstbotin. Aber dann verklang das Gekeife, und Nora fand sich allein mit Simon. In Ermangelung irgendeiner anderen Möglichkeit, sich zu betätigen, hockte sie sich neben sein Bett. Sie erinnerte sich dunkel, was sie über Krankenpflege wusste. Viel war es nicht, eigentlich nur das, woran sie sich aus eigenen Krankheitstagen erinnerte. Wenn Nora sich verkühlt oder sich den Magen verdorben hatte, machte die Haushälterin ihr Wadenwickel und kochte Kräutertee. Hier gab es allerdings nicht mal einen Kessel, von der fehlenden Kochstelle ganz zu schweigen. Nora legte den Arm um Simon. Wenn sie
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