Die Insel Der Tausend Quellen
durfte in ihre Hütte zurückkehren – allerdings »beaufsichtigte« Akwasi sie persönlich und ließ sie so schmerzerfüllt und wütend zurück wie seit Jahren nicht mehr.
Am Morgen weckten sie dann ein paar aufgeregte Wachen mit der Nachricht, dass der Gefangene entflohen war. Doug hatte die aus Stroh und Kuhfladen geformten Wände der Hütte durchbrochen. Viel Werkzeug brauchte man dazu nicht, ein im Lagerraum befindlicher Spaten hatte gereicht. Den hatte er dann auch als Waffe mitgenommen. Akwasi drohte den säumigen Wächtern mit fürchterlichen Strafen. Bevor er allerdings noch irgendwelche Maßnahmen ergreifen konnte, erklangen schon Hörner, die Entwarnung gaben. Gleich die ersten Patrouillen rund um die Siedlung hatten Doug wieder gefangen genommen. Man mochte Nanny Town umgehen können, wenn man erst mal einen Außenposten wie Tolos Hütte erreicht hatte. Aber ungesehen aus dem Dorf heraus-oder hineinzukommen war unmöglich.
Doug sah etwa so geschlagen aus, wie Nora sich fühlte, als die Männer ihn zurück in die Stadt brachten. Er musste sich gegen die erneute Gefangennahme gewehrt haben, woraufhin ihm die Maroons gezeigt hatten, was ein trainierter Mann selbst mit einfachen und lautlosen Waffen wie einem Schlagstock anstellen konnte. Die Männer mussten ihn stützen, um ihn zu der improvisierten Plattform für die Bestrafung zu schleifen, die Akwasis Freunde in ihrem Überschwang nach Dougs Gefangennahme am Vortag vorbereitet hatten. Nora wurde übel, als sie des Aufbaus ansichtig wurde: Die leicht erhöhte »Bühne«, aufgebaut um einen Baum, an den man den Verurteilten zum Auspeitschen aufhängen konnte, glich zu genau den Konstruktionen auf den Versammlungsplätzen der Plantagen. Hier wollte ganz sicher niemand »Recht sprechen«. Es ging um primitive Rache, ausgeheckt von Menschen, die jedes Mitglied der weißen Rasse hassten. Ein paar der ehemaligen Sklaven hielten Flaschen mit Zuckerrohrschnaps in den Händen. Akwasi musste Sonderrationen verteilt haben.
Nora fühlte die letzte Hoffnung schwinden – zumal das Spektakel nicht, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, auf dem Versammlungsplatz mitten im Ort stattfand. Man hatte es auf die Übungsplätze der Krieger verlegt, abseits vom Dorf. Wer nicht wollte, würde gar nichts davon mitbekommen. Dementsprechend gestaltete sich denn auch das Publikum: Es versammelten sich fast nur Männer, und die weitaus meisten unter ihnen waren ehemalige Feldsklaven.
Viele kamen mit nackten Oberkörpern. Als man Doug zwischen ihnen hindurchführte, zeigten sie ihm die Narben der Peitschenhiebe auf ihren Rücken. Die echten Maroons, die Familien und älteren Dorfbewohner, von denen Nora sich einen mäßigenden Einfluss erhofft hatte, blieben dagegen in ihren Hütten. Sie brachten kein besonderes Mitleid für weiße Backras auf, bei Überfällen hatten sie keinerlei Hemmungen, Pflanzer zu töten. Aber sie fanden auch kein Vergnügen daran, sie öffentlich zu Tode zu quälen. Wenn Akwasi und seine Leute das tun wollten, würden sie wegschauen.
So waren es insgesamt nur etwa fünfzig von den über zweitausend Bewohnern von Nanny Town, die sich rund um die Plattform und den Galgenbaum versammelten. Sie johlten und pfiffen, als man Doug daranhängte, indem man seine Arme über einem Ast zusammenband. Nora begriff nicht, wie sie das genießen konnten. Jeder von ihnen musste sich erinnern, wie man sich in dieser Situation fühlte. Aber immerhin gab Doug ihnen nicht die Genugtuung, irgendwie auf ihre Schmähungen zu reagieren. Er hatte sich stoisch durch die Menge schleifen und binden lassen – Nora fühlte sich an Akwasis Haltung erinnert, als sie zum ersten Mal einer solchen Bestrafung beiwohnte. Wieder fragte sie sich, wie die Männer einander derart hassen konnten, waren sie sich im Grunde doch so ähnlich.
Akwasi zerrte Nora mit sich auf die Plattform.
»Maroons!«, rief er den Leuten zu. Begeistertes Johlen folgte. Die befreiten Sklaven verstanden den Namen als Ehrentitel – zumal ihnen die von Geburt an freien Schwarzen oft das Gefühl gaben, in Nanny Town Bürger zweiter Klasse zu sein. »Wir sind heute hier, um über einen Sklaven Gericht zu halten! Ich habe ihn gefangen genommen, wie man es mit uns in Afrika tat. Als Kriegsgefangenen, nachdem er in unsere Siedlung einbrach, mit der Absicht, meinen Besitz zu stehlen – ich habe ihn nicht geraubt!«
Ein paar Männer applaudierten. Die wenigen, denen der Unterschied klar war. Den meisten war dagegen
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