Die Insel Der Tausend Quellen
vielleicht gehörte hier ja ein gewisses Märtyrertum dazu. Sie beschwerte sich erst mal bei Elias, aber der zuckte dazu auch nur die Schultern.
»Meine Liebe, ich kann gut verstehen, wenn du unter diesen Umständen ein paar Wochen auf unser … hm … trauliches Beisammensein verzichten möchtest. Ich jedenfalls lege keinen Wert darauf, dir in Gesellschaft unserer jungen Freunde beizuliegen, wir können also gern jeder eine dieser Kojen beziehen. Ein eigenes Gemach oder geräumigere Betten kann ich dir allerdings nicht bieten, schon dies gilt auf den Schiffen als Luxus.«
Nora verstand, was er meinte, als sie nach den Pferden sah und dabei einen Blick in die Mannschaftsunterkünfte werfen konnte. Hier sah sie zum ersten Mal Hängematten – woraufhin sie sich beim nächsten Besuch auf ihrer imaginären Insel lieber auf eine Decke im warmen Sand träumte. Die Männer schliefen schichtweise in engen, ungezieferverseuchten Quartieren. Ihre eigene Kabine hielt die Missionarsgattin immerhin peinlich sauber – bis sie gleich nach Verlassen des Kanals und Hinaussegeln auf den Atlantik der Seekrankheit zum Opfer fiel. Von da an sorgte Nora für Ordnung und Sauberkeit – schon weil sie keine Lust hatte, sich die Flöhe zu holen, die sich der Reverend scharenweise einfing, wenn er sich um die kranken Seeleute kümmerte oder zumindest so tat. In Wirklichkeit beschränkte sich seine Zuwendung für die Mannschaft eher auf Bibellesungen, und auch seiner Frau stand er nicht allzu eifrig zur Seite, wenn sie sich wieder mal heftig erbrach.
»Das kann eigentlich gar nicht mehr sein, ich hab doch seit Tagen nichts gegessen«, wimmerte die junge Frau, als Nora sich schließlich ihrer annahm, sie wusch und auf Anraten des Kapitäns mit Rum als »Medizin« versorgte.
Lediglich des Nachts bemühte Reverend Stevens sich heftig um seine Gattin – Nora fand kaum eine Stunde Ruhe, während er ächzend und stöhnend versuchte, seiner Ruth ein Kind zu machen. Elias schien das nicht zu stören, er schnarchte in der Koje über seiner jungen Frau, was allein schon genügt hätte, Nora den Schlaf zu rauben.
Nun verstand sich Elias Fortnam auch bestens mit dem Kapitän, dem Maat und dem Ersten Offizier. Die Männer zechten bis tief in die Nacht, nachdem Nora und die indignierten Stevens sich längst zurückgezogen hatten. Mitunter beneidete Nora ihren Mann um diese Zerstreuungen. Zum ersten Mal hatte auch sie den Wunsch, sich mit Gin, Rum, Laudanum oder was immer sie kriegen konnte zu betäuben – oder es dem Reverend unauffällig in seinen Tee zu mischen.
Darüber hinaus genoss sie die Seereise allerdings. Sie wurde nicht seekrank, lediglich in den ersten, sehr stürmischen Tagen verspürte sie vages Unwohlsein, das aber gleich schwand, als Elias sie anwies, auf keinen Fall in ihrer Kabine liegen zu bleiben. Er riet ihr, an Deck zu gehen und zum Horizont zu schauen, was Nora auch tat. Sie liebte es, im Freien zu sein und den Wind zu spüren, hinaus in die Wellen zu sehen und den Matrosen bei der Arbeit zuzuschauen. Besonders ihre halsbrecherischen Klettermanöver in den drei mit voluminösen Segeln bestückten Masten faszinierten sie. Die Männer wurden auch bald zutraulich und erklärten der aufmerksamen jungen Frau wichtigtuerisch die Bewaffnung des Schiffes. Mit leichtem Gruseln sah Nora sich die Kanonen an, die das Schiff an Bord hatte. Elias hatte den Neunpfündern viel Aufmerksamkeit zugewandt, bevor er die Passage buchte. Die Verteidigungsbereitschaft des Seglers war ihm wichtig, noch immer gab es Piratenaktivität in der Karibik und auf dem Weg dorthin, und obwohl gerade kein Krieg zwischen England und Spanien herrschte, kam es doch gelegentlich zu Scharmützeln auf See.
Nora mochte daran jedoch nicht denken. Sie begeisterte sich eher für die Wale und Delfine, die das Schiff begleiteten. Sie war hingerissen, als die erste gewaltige Rückenflosse eines fast hausgroßen Wals vor ihrem Ausguck auftauchte, während Ruth Stevens mit einem Aufschrei in die Kabine flüchtete.
Auch der Reverend fürchtete sich und erheiterte die Mannschaft, indem er ihnen einen Pottwal als das Tier vorstellte, das weiland Jonas verschluckt hatte.
»Nee, Reverend, der nicht, der hat nicht mal Zähne!«, lachte einer der Männer, der früher auf einem Walfänger gearbeitet hatte. »Das Vieh frisst nur ganz kleines Getier, für unsereins ist’s harmlos, wenn man’s nicht reizt oder ihm so nah kommt, dass es einen mit der Flosse erwischt.«
Reverend
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