Die Insel Der Tausend Quellen
der gesamten Reise unter Deck gehalten hatte?
»Wo kommen sie her?«, fragte Nora tonlos.
Elias folgte ihrem Blick. »Elfenbeinküste, Kongo, müsste man den Kapitän fragen. Aber schau nicht hin, wenn sie frisch entladen werden, sind sie kein schöner Anblick.« Er grinste. »Du sagst ja selbst, dein Pferd wird steif sein, wenn’s sich drei Monate nicht bewegt hat. Geht denen nicht anders.«
Nora sah Elias entsetzt an. »Das … das kann man doch nicht vergleichen! Wenn wir die Pferde in Verschläge packen … das ist zu ihrem eigenen Schutz bei dem Seegang. Aber hier … das sind Menschen, Elias, die kann man nicht einpferchen wie … wie …«
»Das sind Sklaven«, meinte Elias mit Gemütsruhe. »Und wenn der Skipper die einpfercht, dann zu seinem eigenen Schutz! Stell dir vor, die machten auf dem Schiff einen Aufstand! Vierzig junge, kräftige Kerle!«
Die Männer waren zweifellos jung, aber alles andere als kräftig nach der strapaziösen Überfahrt. Nora sah Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit und Scham in ihren Augen, den gleichen Ausdruck wie in Simons, nachdem man ihm sein Heim und seine Stellung in der Gesellschaft genommen hatte. Noras Verständnis und Mitgefühl überlagerte ihr Befremden über die Farbe ihrer Haut. Ob schwarz oder weiß, dies waren Menschen wie sie, und sie fühlten wie sie!
»Sie sind krank«, stieß Nora hervor, »oder verletzt.« Auf der dunklen Haut sah man die Blutspuren. Nicht auf den ersten Blick, aber Nora war eine scharfe Beobachterin. »Und sie sollten nicht … sie sollten nicht nackt sein …«
Sie kam sich albern vor, als sie die letzten Worte sprach, und Elias lachte auch gleich darüber. Diese Menschen waren aus ihren Familien herausgerissen, angekettet und misshandelt worden – die Tatsache, dass man sie ihrer Kleider beraubt hatte, spielte da wohl kaum noch eine Rolle. Dennoch empfand Nora diese letzte Demütigung fast als die schlimmste. Die Männer am Hafen, Schwarze und Weiße, schauten lüstern auf die Brüste der jungen Frauen, die jetzt an Land getrieben wurden. Und sie waren nicht einmal schön – die Frauen waren so ausgezehrt, dass ihre Brüste wie leere Lederbeutel herunterhingen. Auch die Männer waren zum Skelett abgemagert.
»Gibt man … gibt man ihnen nicht mal was zu essen?«, fragte Nora erstickt.
Sie nahm jetzt auch den Gestank wahr, der von den seit Wochen ungewaschenen Leibern der Sklaven ausging. Elias hielt sich ein Taschentuch vors Gesicht und reichte auch Nora eines.
»Sei nicht albern, Nora, natürlich gibt man ihnen zu essen. Sie sind wertvolle Ware, niemand hat Interesse daran, sie hungern zu lassen. Aber das sind Ashanti. Du wirst das bald unterscheiden lernen. Angehörige anderer Stämme sind kleiner und gedrungener. Nicht ganz so leistungsfähig, aber leichter zu handhaben. Diese Kerle und Weiber von der Elfenbeinküste dagegen … die wissen ganz genau, wie man die Händler um den Profit bringt. Die hungern sich gezielt zu Tode.« Elias blitzte die Sklaven wütend an.
»Aber … aber dann sind sie doch tot«, sagte Nora und merkte, wie dümmlich sich die Bemerkung anhörte. »Dann … dann haben sie doch auch nichts mehr davon, dass sie den Händlern das Geschäft verdorben haben. Sie … sie …«
»Sie sind boshaft bis auf die Knochen!«, stieß Elias zwischen den Zähnen hervor. »Bei jedem Transport gehen welche drauf, und die Weiber verlieren die Nachzucht, wenn sie beim Fang schwanger sind. Die Kapitäne versuchen natürlich, sie zum Fressen zu zwingen. Kein schöner Job …«
Nora zwang sich ihrerseits hinzusehen, als die Sklaven nun einem Händler übergeben wurden. Der Mann wies seine Aufseher umgehend an, die »neue Ware« mit Eimern voll Seewasser zu übergießen, um wenigstens den ärgsten Schmutz und Gestank abzuwaschen. Die gaben die Aufgabe an schwarze Sklaven weiter, die sie erledigten, ohne irgendeine Regung zu zeigen.
Nora zitterte. Sie würde das ihrem Vater schreiben. Das war unmenschlich, das war …
»Backra Fortnam, Sir«, klang hinter ihnen eine dunkle, schüchterne Stimme.
Elias wandte sich um. »Ah, da ist ja unsere Kutsche. Steig ein, Nora … Nun, wird’s bald, Junge? Halt der Lady den Schlag auf ! Ach, ja, herrje, ich war zu lange in London … Geschultes Personal … hier kann man damit natürlich nicht rechnen.«
Der junge braunhäutige Mann auf dem Bock beeilte sich, abzuspringen und die Türen der Kutsche aufzuhalten. Leider waren auch die Pferde nicht so gut geschult wie Peppers’
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