Die Insel der Verdammten
aufmerksam hin. Es gab keinen Zweifel. Nicht die Spuren eines, sondern zweier Menschen waren ganz deutlich in den Sand eingedrückt; ihr Anblick erschütterte mich.
Unwillkürlich versteckte ich mich hinter dem nächsten Strauch. Mit forschenden Augen schaute ich ringsumher. Dann heftete ich den Blick vor mich hin in die Ferne. Eine vom Meer wehende Brise zerzauste das Gebüsch, und in dieser unaufhörlichen Bewegung fiel es schwer, etwas zu erkennen, selbst wenn Menschen dort umherstreichen sollten. In meiner Nähe aber rauschten die Wellen, die Agaven raschelten im Winde, die Vögel zwitscherten, und alle diese Geräusche zusammen schufen eine Klangfülle, über die hinaus mein Gehör nichts anderes aufzufangen vermochte.
Nach dem Schreck des ersten Augenblicks kam ich langsam wieder zu mir. Wie ein Hase unter dem Strauch zu sitzen hatte auf die Dauer keinen Zweck. Sollte mir dort irgendwo
Gefahr drohen, so mußte ich sie, je früher, desto besser, erkennen und ihr die Stirn bieten.
Ich untersuchte noch einmal die Spuren. Sie waren ganz frisch. Zwei barfüßige Menschen, sicherlich Indianer, sind heute früh hier gewesen. Sie sind bis zu dieser Stelle gekommen und dann auf dem gleichen Wege, den Strand entlang, umgekehrt. Ich beschloß, so vorsichtig wie möglich hinter ihnen herzugehen und mich zu überzeugen, wer sie seien. Die Matrosen auf dem Kaperschiff hatten von der Grausamkeit der Indianer in diesen Gegenden schaurige Dinge erzählt.
Gleichzeitig erinnerte ich mich, wie sich Robinson Crusoe in einem ähnlichen Falle verhielt. Als er auf seiner Insel fremde Fußspuren entdeckte, wurde er von einem so panischen Schrecken ergriffen, daß er wie irrsinnig in seine „Festung" lief, sich darin für einige Tage einschloß und vor Angst nicht schlafen konnte. Obwohl er bei Gott Hilfe suchte, so durchlebte er doch lang anhaltende Gemütsqualen. Schauer überliefen mich schon allein beim Lesen dieser furchtbaren Pein.
Warum erleide ich nicht ähnliche Dinge? fragte ich mich.
Ich erlitt sie nicht. Allerdings war meine Wachsamkeit aufs äußerste gespannt — sonst aber geschah nichts. Ich wußte, daß meine Ruhe auf der Insel in dem Augenblick ihr Ende gefunden hatte, als ich die Anwesenheit von Indianern entdeckte, daß die scheinbar heitere, sinnlose Idylle, in der ich lebte sinnlos zwar, aber immerhin eine Idylle —, zum Teufel gegangen war. Die Menschen, auf deren Spuren ich stieß, schienen Feinde zu sein, mit denen ich früher oder später einen Kampf zu bestehen hätte. Wenn mir trotzdem nicht in dem Maße wie Robinson Crusoe der Schreck in die Glieder fuhr, so offenbar deshalb, weil ich aus anderm Holz geschnitzt war, weil das Leben in den virginischen Wäldern mich gelehrt hatte, so mancher Gefahr ins Auge zu sehen. Robinson besaß damals auf seiner Insel mehr Waffen, ich dagegen besaß die größere Erfahrung.
Die Spuren führten dicht am Strand entlang. Ich folgte ihnen nicht unmittelbar; denn ich wollte mich nicht der Gefahr aussetzen, auf offener Fläche schon von weitem gesehen
zu werden. Überzeugt, daß die Spuren früher oder später zur Seite abbiegen würden, hielt ich mich am Rande des Dickichts, das sich längs der sandigen Dünen hinzog.
Plötzlich blieb ich stehen. Eine düstere Vermutung stieg in mir auf. Ich dachte an den Kapitän mit der Kopfwunde und der Pistole in der Hand. Wurde jetzt nicht seine unnatürliche Todesursache durch die Anwesenheit feindlicher fremder Menschen auf der Insel geklärt? Sie hatten den Kapitän ermordet, als er an Land gekommen war, und die Spuren, denen ich im Augenblick folgte, rührten zweifellos von seinen Mördern her. Ich wußte nun, welcher Gefahr ich entgegenging, und nahm mich um so mehr in acht.
Nach einer Weile gelangte ich an eine Bucht, die ziemlich tief in die Insel eindrang. Etwa eine Viertelmeile entfernt hob sich der weiße Seesand des gegenüberliegenden Ufergürtels scharf gegen grünes Gebüsch ab. Hinter dem Stamm einer Kokospalme versteckt, konnte ich die ganze Bucht weithin übersehen.
Mit einemmal zuckte ich zusammen. Ich hatte sie erblickt. Auf der anderen Seite der Bucht. Beide liefen über den Sand ins Dickicht. Bevor ich sie näher ins Auge fassen konnte, verschwanden sie in den Sträuchern. Ich sah sie gegen die Sonne, daher fiel es mir bei der Entfernung schwer, zu erkennen, ob sie Weiße oder Indianer waren. Ich bemerkte nur, daß sie Kleidung trugen. Sollten es Weiße sein? Die Indianer dieser Gegenden gingen nackt,
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