Die Insel der Verdammten
kletterten mit dem Fernrohr in der Hand auf den Berg, konnten aber selbst vom Gipfel keinerlei Spuren der Ankömmlinge entdecken. Die bogenförmige Uferbiegung bildete ein Vorgebirge, welches das drei Meilen entfernt gelegene Papageienwäldchen vor unseren Augen verhüllte.
„Man muß sie aus der Nähe betrachten”, erklärte ich. „Wir werden uns an sie heranschleichen."
„Wie gut, daß wir Feuerwaffen haben!" seufzte Arnak befriedigt.
„Und wie gut, daß ihr schießen gelernt habt."
Bis zum Mittag blieb noch viel Zeit, und der Tag versprach beschwerlich und voll unbekannter Abenteuer zu werden. Wir machten daher etwas Wegekost zurecht, versahen uns mit den Gewehren — ich steckte mir noch die Pistole in den Gürtel — und nahmen außer den Feuerwaffen auch die Bogen mit; denn möglicherweise würden wir schießen müssen, ohne uns durch einen Knall zu verraten.
Anfangs dachte ich, Wagura bei der Höhle zurückzulassen, damit er sie im Falle eines Überfalls verteidigte. Dem Milchbart gefiel das jedoch nicht, er machte ein griesgrämiges Gesicht.
„ Was ist dir? Willst du nicht hierbleiben?" Ich schaute ihn verwundert an.
„Ich möchte lieber mit euch gehen."
„Fürchtest du dich, allein zu bleiben?" fragte ich ärgerlich. Meine bissigen Worte hatten ihn verletzt.
„Jan, ich bin kein Feigling!" widersprach er heftig. „Ich bin kein Feigling."
Es tat mir leid, ihn so unüberlegt in seiner Ehre gekränkt zu haben. Was für einen Verteidiger unserer Behausung könnte er schon abgeben, wenn er einer Feindesbande die Stirn zu bieten hätte? Er wäre sicherlich zusammengebrochen; gemeinsam mit uns dagegen könnte er wertvolle Dienste leisten.
„Gut, Wagura, du kommst mit uns!"
Die zurückgelassenen Waffen verwahrten wir für alle Fälle so geschickt, daß sie niemand entdecken konnte.
Wir zogen auf eine Erkundung aus, das heißt, wir hatten nicht die Absicht, jemand anzugreifen. Wir wollten uns höchstens, wenn man uns angriff, aus der Nähe wehren — die schwere, weittragende Muskete brauchten wir daher nicht. An ihrer Stelle nahm ich eine leichtere Flinte mit. Auch wechselten wir die Ladungen. Wir nahmen die Kugeln heraus und luden die Gewehre mit Bleischrot, um im Falle eines Geplänkels mehrere Angreifer zu treffen.
Schweigend verließen wir die Höhle. Von vornherein war ein jeder von uns auf der Hut. Wir schritten im Gänsemarsch am Rande des Gebüsches entlang, ich voran, Wagura als letzter. Oft blieben wir stehen, um auf Geräusche zu achten, doch war außer dem Rauschen des nahen Meeres und dem gewohnten Lärmen der Waldvögel nichts zu hören.
Als wir das Vorgebirge hinter uns gelassen hatten, bemerkten wir die Fremden in einer Entfernung von einer halben Meile. Ich schaute durchs Fernrohr. Einige der Ankömmlinge lagen im Schatten der Kokospalmen und schliefen, als seien sie zu Tode erschöpft. Andere strichen in der Gegend umher. Sie suchten wohl Nahrung; denn einige von ihnen kletterten auf die Palmen und rissen Früchte ab. Ich zählte an die dreißig Menschen, es konnten aber noch mehr im Dickicht sein. Mir fiel auf, daß auf dem Meer kein Schiff zu sehen war, das sie hergebracht haben konnte; nur drei Boote lagen am Ufer.
Achselzuckend reichte ich Arnak das Fernrohr.
„Bin ich etwa blind? Sieh du einmal aufmerksam hin! Wie mögen sie hergekommen sein?"
Der Indianer lugte scharf in die Ferne. Verblüfft nahm er das Fernrohr vom Auge.
„Kein Schiff zu sehen!" sagte er. „Vielleicht hat es sie auf der Insel abgesetzt und ist wieder losgefahren?"
„Das bezweifle ich. Dann würden sie nicht drei Boote haben, sondern höchstens eins."
„Glaubst du, Jan, sie könnten auf diesen drei Booten von weit her gekommen sein?"
„Wie denn sonst? Die Boote sind nicht groß. Sie müssen stark überladen gewesen sein, um so viele Menschen zu tragen."
„Bah, sie haben nicht einmal Segel! Rudernd haben sie die Fahrt zurückgelegt. Aber woher?"
„Geradenwegs von der Insel Margarita. .
„So sind es Spanier?"
Das Ganze kam uns merkwürdig und geheimnisvoll vor. Welcher vernünftige Mensch konnte sich, so unzulänglich ausgerüstet, zu einer immerhin weiten Reise aufs offene Meer hinauswagen? Und das noch dazu in so großer Zahl? Allerdings begünstigte das Wetter die Ruderer; hätte aber ein Windstoß die bisher ruhige See bewegt, wäre die Katastrophe unvermeidlich gewesen. Die Fremden waren merkwürdig leichtsinnig.
„Vielleicht sind es aber Indianer", warf Wagura ein.
Wir
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