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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Schmatzlaute entstanden.
    «Du hast ja keine Ahnung, wovon du redest», gab Rhonda zurück. Sie trat vor, beschirmte die Augen mit der Hand gegen die Sonne und spähte zu Peter aufs Dach. Allmählich kam es Rhonda so vor, als gebe es zwei Lizzys: eine gute und eine böse. Die gute war die Lizzy, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt hatte, die Lizzy, die später einmal eine
Rockette
werden wollte und die verrückte Lieder sang. Die böse Lizzy stank und verwendete Ausdrücke wie «ihn reinstecken» mit eindeutigen Soundeffekten, und das alles war einfach widerlich und absolut verlogen.
    «Ach nee?», fragte Lizzy höhnisch kichernd.
    «Bitte, Peter!», rief Rhonda nach oben.
    In diesem Augenblick kam Daniel aus dem Keller zurückgeschlappt, die offene Bierdose in der Hand. «He, Rakete!», rief er Lizzy zu. «Wo hast du denn den ganzen Nachmittag gesteckt?»
    Lizzy antwortete nicht, aber sobald Daniel auf dem Hof war, entdeckte er selbst, warum die Mädchen aufs Werkstattdach starrten.
    «Was zum Teufel machst du denn da oben, Peter», rief er hinauf. «Du kommst sofort da runter! Aber dalli!»
    Peter zögerte. Er sah auf den Boden hinunter und dann auf seinen Vater.
    Daniel stellte seine Bierdose ab und marschierte zur Leiter. «Ich muss dich ja wohl nicht selbst holen! Du
weißt
, dass dir das leidtun wird!»
    Rhonda krümmte sich innerlich.
    Daniel begann, die Leiter hochzusteigen. Peter zog sich zur hinteren Ecke des Daches zurück. Rhonda hielt den Atem an.
    «Lass die Hände von ihm!» Aggie stürmte aus dem Haus zum Schuppen.
    «Der verdammte Trottel schlägt sich noch den Schädel auf», erklärte Daniel aus der Höhe.
    «Rühr ihn nicht an!», rief Aggie.
    «Ich glaube, er hat sich verstiegen wie so ’ne verdammte Katze», meinte Daniel.
    Aggie griff nach einer Schaufel, die an der Schuppenwand lehnte.
    «Runter von der Leiter, oder ich stoß dich runter!»
    Sie schwang die Schaufel wie eine Streitaxt.
    Daniel stieg rückwärts die Leiter herunter, stand dann unten, die Hände beschwichtigend erhoben, und redete ihr zu: «Leg sie weg, Aggie.»
    Jetzt hob Aggie die Schaufel wie einen Schlagstock und kam ausholend auf Daniel zu. Der duckte sich weg.
    «Was machst du denn da, verdammt nochmal!», schrie er.
    Sie holte wieder aus und verfehlte ihn diesmal nur haarscharf, als er wegsprang.
    «Mom!», schrie Peter vom Schuppendach. «Mom, hör auf!» Er hockte ganz am Rand des Daches wie ein Wasserspeier mit Jungengesicht.
    Doch Aggie holte erneut mit der Schaufel aus. Daniel stand mit dem Rücken zur Werkstattwand und schob sich zentimeterweise nach links, die Augen auf die Stahlschaufel geheftet.
    «Aggie!», schrie Clem. Er kam von der anderen Seite des Schuppens gerannt, was sonderbar war, denn dies bedeutete, dass er aus Peters und Lizzys Haus gekommen sein musste. «Leg das Ding weg, Ag. Beruhige dich, leg es einfach weg.»
    Aggie senkte die Schaufel, hielt sie aber noch immer fest in Händen.
    Dann begann sie zu weinen.
    «Du verrückte Schlampe», knurrte Daniel.
    Schon war die Schaufel wieder oben, aber Clem kam Aggie zuvor. Er war bei ihr, bevor sie ausholen konnte, packte den Holzstiel und entwand ihn ihren Fingern.
    Dann blieben alle einfach da, wo sie waren, als wüsste keiner von ihnen, was als Nächstes zu tun war: Rhonda stand in der Zufahrt, die Nägel in die rot angelaufenen Handflächen gegraben; Peter hockte, die Flügel im Rücken, auf dem Rand des Schuppendaches; Aggie schluchzte, das Gesicht in Clems Hemd vergraben; Clem hielt die Schaufel hoch in der Luft, wo Aggie sie nicht erreichen konnte; Daniel stand mit dem Rücken zum Schuppen, einen vollkommen ungläubigen Blick im Gesicht; und Lizzy, die sich nicht gerührt hatte, seit ihr Vater die Leiter hochgestiegen war, stand einfach da, den Haken in der Luft wie ein Kind, das sich in der Schule meldete, um aufgerufen zu werden, die Augen leer und glasig, während das verfilzte Haar wirr unter dem schwarzen Piratenhut hervorstand. Dann begann sie leise schluchzend zu weinen. Sie bedeckte den Mund mit der Hand, die nicht den Haken hielt. Rhonda brauchte eine ganze Weile, bis sie begriff, dass das Schluchzen von Captain Hook überhaupt kein Schluchzen war:Lizzy lachte, und je mehr sie versuchte, das Lachen zu unterdrücken, desto lauter kicherte sie. Sie lachte so laut und hysterisch, dass alle sie ansahen. Schließlich machte sie sich auf der Zufahrt in die Hosen, und als sie merkte, was ihr da passiert war, musste sie nur noch lauter

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