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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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hier war kein Krimi. Sie hatte auch keine Waffe. Und der Mann, mit dem sie sich gleich unterhalten würde, war nur Peter und nicht irgendein finsterer Krimineller. Langsam trat sie in den Türrahmen und spähte in den Raum. Peter hatte ihr den Rücken zugekehrt. Er machte irgendetwas am Fuß des Bettes.
    Ein Strick.
    Er machte sich dort mit einem langen, rauen Strick zu schaffen.
    Sie holte scharf Luft. Peter hörte sie und drehte sich um.
    «Rhonda? Was zum Teufel   …? Mir ist fast das Herz stehengeblieben! Warum schleichst du dich so an?»
    «Ich habe dich gerufen. Du hast nicht geantwortet. Ich hab komische Geräusche gehört. Das hat mir wohl Angst gemacht.»
    «Na, dann haben jetzt ja schon zwei einen Schreck gekriegt. Was machst du hier?» Er hielt den Strick in der geballten Faust.
    «Ich dachte, ich schau mal vorbei. Ob ich dir meine Hilfe anbieten kann.»
    Peter warf den Strick aufs Bett. «Vielleicht kannst du mir wirklich helfen, dieses Ding hier rauszuschaffen.» Er deutete mit dem Kopf auf die riesige Kommode, die einmal Lizzy gehört hatte. «Die ist aus Eiche. Sie ist schon seit Ewigkeiten in der Familie meiner Mutter. Tack findet, dass wir sie behalten sollten. Um sie an Suzy zu vererben.»
    Rhonda nickte und trat in den Raum. Sie ging zum Wandschrank. Die Metallstange, an der Lizzy immer gehangen hatte, war verschwunden, und der Türrahmen war neu gestrichen worden. Aber durch den hastig aufgetragenen Anstrich schimmerten noch immer Lizzys Bleistiftmarkierungen hindurch. Rhonda betrachtete sie aus der Nähe und erkannte das letzte Datum: 10.   August 1993.   Der Tag der letzten Aufführung von
Peter Pan.
Es war, als hätte Lizzy aufgehört zu wachsen und zusammen mit Peter Pan und den verschwundenen Jungs das Erwachsenwerden verweigert.
    «Ganz schön zickig, das Dings», sagte Peter und schlug mit der flachen Hand auf die Kommode. «Wiegt zehn Tonnen. Komm, schnapp dir eine Seite.»
    Rhonda ging hinüber und packte das Möbelstück an der linken Seite. Es war beinahe eins fünfzig hoch und eins zwanzig breit. Sie hob es stöhnend an und bewegte es etwa zwei Fingerbreit weit, bevor sie es wieder absetzte. «Die Schubladen müssen raus», sagte sie.
    Sie zogen leere Schubladen heraus. Dabei fanden sie nur eine Mottenkugel und ein paar Pennys. Außerdem einen einsamen braunen Knopf. Rhonda nahm den Knopf und dachte, etwas Traurigeres hätte sie noch nie gesehen. Der verlorene Knopf eines verschwundenen Mädchens. Als Peter nicht hinschaute, steckte Rhonda den Knopf in die Tasche, wuchtete dann ihre Seite wieder hoch und nickte ihm zu.
    «Worüber wolltest du denn unbedingt mit mir reden?», fragte Peter und hob seine Seite an.
    Gemeinsam schlurften sie langsam mit der Kommode los. Rhonda ging rückwärts zur Tür. Peter und sie konnten sich kaum über die Kommode hinweg ansehen.
    Rhonda holte tief Luft, unsicher, wo sie anfangen sollte. Auf der Fahrt hierher hatte sie im Wagen geübt und war fest entschlossen, sich an ihr Skript zu halten. Sie wollte mit dem Motel und mit Lizzy anfangen. Und Peter dann den Schlüsselbund zeigen. Doch als sie den Mund aufmachte, kam etwas ganz anderes heraus.
    «Am Abend nach unserer Abschlussvorstellung von
Peter Pan
hattest du einen Streit mit Lizzy. Du hast sie aufgefordert, etwas zu tun, was sie nicht tun wollte. Sie hatte Angst davor. Was war das?» Rhonda stellte ihre Seite der Kommode ab. Noch ein paar Schritte, und sie waren bei der Tür.
    Peter zog die Augen zusammen. «Ich erinnere mich nicht.»
    Er log.
    Rhonda hob ihre Seite wieder an. Peter folgte ihrem Beispiel, und sie schlurften weiter.
    «Ich war im
Inn and Out Motel
», sagte sie, und diesmal begegnete ihr Blick dem von Peter über die Kommode hinweg. Es war Zeit, mit den Spielchen aufzuhören. Sie würde ihn mit Tatsachen konfrontieren, die sich nicht mit einer Lüge abtun ließen.
    Die beiden hatten jetzt die Tür erreicht, und Rhonda ging rückwärts hindurch. Es war eng, und in der Mitte blieb die Kommode stecken. Sie versuchten es mit Hin-und-her-Wackeln, aber das Möbel passte einfach nicht durch. Rhonda riss sich die Hand an einer herausstehenden Ecke des Metallbeschlags am Türrahmen auf.
    «Herrgott nochmal!», rief sie aus, setzte ihre Seite unsanft ab und inspizierte ihre Hand. Peter, der noch in Lizzys Zimmer war, setzte seine Seite ebenfalls ab.
    «Scheiße», murmelte er. «Wenn das Ding durch die Tür rein ist, muss es auch durch die Tür wieder raus.» Er wischte sich mit dem

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