Die Insel der verlorenen Kinder
in dem Sommer so eine … Art Beerdigung im Wald veranstaltet. Wir haben eine selbstgemachte Vogelscheuche – unseren Lumpenmann – bestattet. Und Peter ließ uns unsere Ängste auf kleine Zettel schreiben, die wir dann auf die Puppe warfen. Das sollte so eine Art Bestattung unserer Ängste darstellen.»
«Weißt du noch, was du damals auf deinen Zettel geschrieben hast?», fragte Warren.
«Nein.»
«Du hast Peter verdammt viel Macht eingeräumt, sowohl im Leben als auch in deinen Träumen.»
Rhonda nickte. «Ich habe mir eingeredet, dass er unschuldig ist. Das habe ich so wild entschlossen geglaubt, dass ich die Beweise für seine Verstrickung in diesen Fall einfach nicht wahrhaben wollte. Aber jetzt sehe ich ein, dass man sich im Leben nicht einfach selbst aussuchen kann, was die Wahrheit ist.»
Warren nickte grimmig und verstummte.
«Sag was», bat Rhonda.
«Ich glaube …» Er zögerte. «Rhonda?»
«Was denn?», fragte sie und ergriff seine Hand.
Er biss sich auf die Unterlippe. «Ich glaube, du hast recht. Wir können uns die Wahrheit nicht aussuchen. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, wie finster sie auch sein mögen.»
Rhonda nickte. «Deswegen gehe ich mit dem, was ich weiß, zu Peter.»
Warren schüttelte den Kopf. «Nein. Ich bin der Meinung, dass du warten solltest.»
«Worauf denn, Warren? Mein ganzes Leben lang warte ich schon auf alles Mögliche, was nie eintrifft. Was, wenn Peter wirklich was weiß? Was, wenn er Ernie irgendwo eingesperrt hat?»
«Dann solltest du mit Crowley anfangen. Sag ihm, was du weißt.»
«Nein. Erst muss ich mit Peter sprechen. Ich meine … Was, wenn ich mich irre?»
«Und was, wenn du recht hast? Er könnte gefährlich werden, Rhonda. Lass mich wenigstens mitkommen.»
«Nein», wehrte Rhonda ab. «Das muss ich allein erledigen. Eines weiß ich jedenfalls mit Sicherheit, nämlich dass er mir einiges verschwiegen hat. Wenn wir beide ihn konfrontieren, fühlt er sich in die Ecke gedrängt und sagt gar nichts mehr. Wenn ich allein hingehe, habe ich vielleicht die Chance, etwas herauszufinden. Kann ich dich hinterher sehen?»
«Natürlich. Ich gehe erst zu Jim und Pat nach Hause und mache mich frisch, und dann bin ich im Mini Mart. Komm doch dort vorbei, wenn du mit Peter gesprochen hast.»
«Ist das ein Date?», sagte Rhonda und lachte.
«Wir können uns Burritos in der Mikrowelle warm machen, und zu Abend gibt es eine Zweierpackung Biskuittörtchen von Twinkie. Auf meine Kosten», sagte Warren.
«Ach, wie
romantisch
.»
«Du machst dir keine Vorstellung», versprach er, nahm sie in den Arm und küsste sie auf den Kopf.
Rhonda musste sich eingestehen, dass sie glücklich war.Doch ein kleines Stimmchen im Hinterkopf ermahnte sie weiterhin, sich nicht daran zu gewöhnen, weil der Hase noch nicht mit ihr fertig war.
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21. Juli 1993
«Los, schau nach», befahl Peter und zeigte auf den Bereich unter Lizzys Bett, der im Dunkeln lag.
In der Woche zuvor waren Lizzy und Rhonda elf geworden, und Lizzys Geburtstagsballons schwebten erschlafft und traurig über dem Bettpfosten, an dem sie angebunden waren. Das
Rockette-
Video, die Beinwärmer und die Tanzpuppe, die Lizzy bekommen hatte, lagen noch immer verpackt auf der Kommode. Rhonda hatte Lizzy einen Goldfisch im Goldfischglas geschenkt – mit blauen Murmeln und einem versunkenen kleinen Piratenschiff auf dem Boden. Der Fisch war am dritten Tag gestorben, aber das Glas stand immer noch auf der Kommode, und das Wasser darin verwandelte sich allmählich in eine stinkende Brühe.
Lizzy trat von einem Bein aufs andere und spielte nervös mit ihrem Kleiderbügelhaken.
«Komm schon, du schaffst das», sagte Tack. «Captain Hook kennt keine Angst.»
«Wer sagt denn, dass ich Angst habe?», fragte Lizzy.
Aber das Problem war nun einmal, dass Lizzy tatsächlich Angst hatte. Und darum waren sie alle da: um sie zu heilen.
Wochenlang hatte sie nun schon Angst, und es wurde immer schlimmer. Nachts schlief sie nicht, und mit den dunklen Ringen unter den Augen wirkte sie wie ein noch viel finstererer Captain Hook. Wenn sie dann doch ins Bett ging, ließ sie alle Lichter im Zimmer brennen. Sie erklärte,der Schwarze Mann wolle sie holen. Sie stopfte Mäntel und Kleidung unter ihr Bett, damit er sich nicht dort verstecken konnte. Dann bekam sie auch tagsüber Angst. Es war, als könnte der Schwarze Mann überall sein: in dem kleinen Fahrzeugschuppen, im Kofferraum eines Wagens oder in der Fallgrube
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