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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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nicht.
    Warren, der es eilig hatte, seine Geschichte endlich loszuwerden, hatte das Angebot, die Aussage zu verweigern oder nur in Gegenwart eines Rechtsanwalts zu sprechen, abgelehnt. Der Anfang seiner Geschichte entsprach der von Pat: Nachdem Pat im Hasenkostüm eine Beziehung zu Ernie hergestellt hatte, hatte sie Warren fünfhundert Dollar geboten, um nach Pike’s Crossing zu kommen, den Anzug anzuziehen und das Mädchen ein letztes Mal im Auto mitzunehmen. Sie wusste, dass Trudy jeden Montagnachmittag, wenn sie Ernie von der Schule abgeholt hatte, Lotterielose und Zigaretten kaufte und dass sie das Mädchen bei diesen Gelegenheiten immer allein im Auto sitzen ließ. Warren sollte Ernie mitnehmen und sie am Rand der Route 6 im Wald absetzen. Pat hatte einen Ort ausgewählt. Ernie sollte ein paar Stunden oder schlimmstenfalls für die Nacht umherirren, und dann würde Pat sie finden und heimbringen. Das verschwundene Mädchen würde wiederauftauchen. Die Geschichte hätte ein Happy End, genau wie bei dem Entführungsfall in Virginia.
    «Aber so ist es nicht gekommen», sagte Warren und wandte seinen Blick von Rhonda und Crowley ab. «Pat hatte mir genau gezeigt, wo ich das Mädchen absetzen sollte, aber als ich im Hasenkostüm in dem gestohlenen Wagen fuhr, wurde ich nervös, verstehen Sie? Daher beschloss ich, den Umweg um den See herum zu nehmen, diese ungeteerte Straße, die sich durch das Naturschutzgebiet schlängelt, das kam mir   … weniger auffällig vor. Der Karte zufolge würde dieser Weg unmittelbar hinter der Stadt auf die Route 6 stoßen. Ich hatte eine Höllenangst, und die Straße schlängelte sich ewig weiter. Und durch diese verdammten Augen sah ich nicht gut. Ich schwitzte wie ein Schwein. Ich meine, so was hab ich ja nie zuvor gemacht. Und das kleine Mädchen erzählte mir, wie es an dem Tag in der Schule war   …»
    Warren hielt inne, schluckte, wischte sich die Stirn und fuhr fort: «Dass der Tag dem Buchstaben F gewidmet war. Sie hätten ein großes F-Poster gemalt, Früchte gegessen und einen Wettkampf gemacht, welches Team die meisten Wörter finden würde, die mit dem Buchstaben F beginnen.» Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und schwieg eine ganze Weile.
    «Wir kamen also zu dieser Haarnadelkurve, und ich sah sie nicht kommen. Ich fuhr wohl zu schnell. Ich trat auf die Bremse, riss das Steuerrad nach links, und das kleineMädchen   … Es war nicht angeschnallt   …» Er kaute auf seiner Unterlippe herum. Tränen stiegen ihm in die Augen. «Es ist so schnell passiert. Die Kleine wurde gegen die Tür gedrückt, und die war wohl nicht ganz geschlossen oder so. Jedenfalls ging die Tür plötzlich auf, und das Kind war weg. Einfach so.»
    «Wollen Sie damit sagen, dass es hinausgefallen ist?», fragte Crowley. «Die Tür ist ganz zufällig von allein aufgegangen?»
    «Die Verriegelung   … war kaputt», flüsterte Rhonda. Genau wie sie es Warren vor einigen Tagen gesagt hatte:
Chaos und Pech.
    «Was?», fragte Warren.
    «Die Verriegelung   – Peter sollte sie reparieren. Das stand im Terminkalender der Werkstatt. Laura Lee sagte, die Tür blieb nur zu, wenn man sie mit dem Schlüssel abschloss.»
    Crowley kritzelte etwas in sein Notizbuch.
    Warren begann zu weinen, und Rhonda wäre fast spontan zu ihm gegangen, um ihn zu trösten. Aber sie konnte nicht. Nicht nachdem sie nun wusste, dass er es war, der sie damals durch das Gitternetz des Sehschlitzes betrachtet hatte. Und dass er derjenige gewesen war, der Ernie für ihren letzten Ausflug zur Haseninsel geholt hatte.
    Am liebsten hätte sie es einfach nicht geglaubt. Es kam ihr wie ein makabrer Scherz vor. Der einzige Mensch, dem sie in dieser Sache vertraut hatte, der Mann, in den sie sich ein bisschen verliebt hatte, war der Hase gewesen, hinter dem sie die ganze Zeit her gewesen waren.
    Vielleicht holst du ihn ja bald ein,
hatte Warren ihr erst gestern Morgen gesagt.
    Und jetzt lag er also hier. Sie kniff die Augen zusammen und hoffte, dass all das einfach verschwinden würde. Aber sie hörte noch immer das Zischen der Sauerstoffmaske und das Piepsen der Geräte.
    Warren hatte gehalten und war zu der Stelle zurückgerannt, an der Ernie aus dem Wagen gefallen war. Sie war eine steile Böschung hinuntergerollt und lag schrecklich still auf einem Steinhaufen. Er war zu ihr hinuntergestiegen und hatte sofort gesehen, dass sie tot war. Crowley hakte nach, wollte Einzelheiten wissen: Woher hatte Warren denn so genau

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