Die Insel der verlorenen Kinder
fertiggebracht.»
«Und was hast du danach gemacht, nach deinem Aufbruch und deinen vergeblichen Versuchen, mir die Wahrheit zu sagen?»
«Ich fuhr eine Weile herum und dachte über alles nach. Ich hielt bei Pat zu Hause, um frische Sachen anzuziehen. Dann fuhr ich zum Mini Mart. Ich erzählte Pat, was an jenem Nachmittag wirklich passiert war, und sagte ihr, dass ich selbst zu Crowley gehen würde. Sie ist völlig ausgerastet, hat mich mit einem Brecheisen verfolgt, und dann muss sie mich in den Anzug gesteckt und in den Wagen gesetzt haben … Mein Gott, sie muss rasend gewesen sein vor Wut. Aber ich mache ihr keinen Vorwurf. Sie hat das kleine Mädchen geliebt. Sie sagte immer wieder, das werde die kleine Ernie retten und sie zum Liebling der Nation machen. Sie würde Angebote für Filme und Bücher erhalten und auf der Titelseite von
People
erscheinen. Zusammen mit Pat. So sollte es laufen.»
Eine Krankenschwester kam herein und griff nach der Sauerstoffmaske. «Die müssen sie aufgesetzt lassen», schalt sie.
Warren schob die Maske erneut zur Seite.
«Bitte sag Trudy, wie leid es mir tut. Sag ihr … oh, verdammt.» Wieder weinte er. «Was kann man da sagen? Sag ihr, dass Ernie an ihrem letzten Schultag beim F-Wettkampf das Wort ‹Fabel› genannt hat. Sagst du ihr das bitte?»
Rhonda nickte stumm zu Warren hinunter, während die Schwester ihm die Maske wieder aufsetzte und die Sauerstoffzufuhr regelte.
War es das, was sie hier alle erlebt hatten?, fragte sich Rhonda. Eine Fabel, in der der Hase den Beteiligten einen Streich spielte, und sie am Ende eine Lektion lernten? Aber was könnte hier die Moral von der Geschichte sein?
s?
3. September 1993
Peter tauchte atemlos an Rhondas Tür auf.
«Clem muss kommen», keuchte er und schob sich an Rhonda vorbei.
Clem trat ins Wohnzimmer. «Was ist los, Peter?»
«Du musst sofort kommen. Es geht um Mom. Sie liegt in der Badewanne. Sie hat ein Rasiermesser benutzt. Überall ist Blut!»
Clem stürzte mit Peter aus dem Haus. Rhonda wollte mitkommen, doch ihr Vater hinderte sie daran. «Bleib hier!», befahl er.
Rhonda hörte ihr Herz hämmern. Sie suchte ihre Mutter, um ihr zu berichten, was vorgefallen war.
«Im Moment können wir nichts tun», sagte Justine, nachdem Rhonda ihr von dem schrecklichen Vorfall berichtet hatte. «Am besten, wir lenken uns für eine Weile mit irgendetwas ab.»
Und so schnitt Rhonda Gemüse für einen Eintopf und lauschte, wie die Sirene des Krankenwagens sich näherte.
Eine Dreiviertelstunde später kam Clem mit Peter und Lizzy zurück. Lizzy hatte einen Koffer dabei, Peter einen Rucksack, einen Schlafsack und sein altes Zweimannzelt aus dem Armeeshop. Sogleich begann er, das Zelt im Garten aufzubauen.
«Du erfrierst da drinnen», warnte ihn Justine, nachdem er sich geweigert hatte herauszukommen, und reichte ihm einen Stapel dicker Decken aus dem Wäscheschrank.
«Könnt ihr ihm nicht zureden, dass er reinkommt?», jammerte Rhonda bei ihren Eltern, doch die schüttelten nur den Kopf und forderten Rhonda auf, Peter vorläufig in Ruhe zu lassen.
Lizzy ging in Rhondas Zimmer, stellte ihren Koffer in der Ecke ab und begann, an Rhondas Schreibtisch ihre Hausaufgaben zu machen.
«Möchtest du darüber reden?», fragte Rhonda, die ihrer Freundin gefolgt war. Lizzy blickte nicht einmal auf.
«Ach, stimmt ja, du redest nicht mehr. Hatte ich ganz vergessen.»
Rhonda ging wütend aus ihrem Zimmer und durch den Flur, von wo sie ihre Eltern in der Küche sitzen sah. Clem hatte gerade im Krankenhaus angerufen. Rhonda schlüpfte ins dunkle Badezimmer, um zu lauschen.
«Sie wird durchkommen», berichtete Clem.
«Gott sei Dank», sagte Justine. «Haben sie gesagt, wie lange sie dort sein wird?»
Rhonda hörte, wie Clem ein Streichholz entzündete, an seiner Zigarette zog und ausatmete. «Keine Ahnung.»
«Ich denke, nach so was werden sie sie eine Weile drinnen behalten», mutmaßte Justine. «Und wer weiß, in welcher Verfassung sie ist, wenn sie wieder rauskommt. Nach den Kindern zu schauen könnte da zu viel für sie sein.»
«Scheiß-Daniel», zischte Clem. «Unglaublich, dass er das gemacht hat. Wo zum Teufel mag er nur stecken?»
«Wahrscheinlich auf einer Sauftour, genau wie du gesagt hast. Er ist vor seinen Gläubigern abgetaucht», sagte Justine.
«Mit dieser Sorte von Leuten ist nicht zu spaßen», hörte Rhonda ihren Vater sagen.
«Ich wünschte nur, wir könnten irgendwie Kontakt zu ihm aufnehmen»,
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