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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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worden war. Sieben – eine Glückszahl.
Genau
.
    Bei Peters Riss hatte man neun Stiche benötigt. Tack und Lizzy waren unverletzt geblieben, als die Wand zusammenbrach. Merkwürdig war nur, dass Lizzy seit jener Nacht kein Wort mehr gesagt hatte. Weder zu Rhonda noch zu Peter und nicht einmal zu Tack.
    «Sie braucht einfach ein bisschen Zeit», sagte Tack. «Wir sollten aufhören, sie ständig deswegen zu nerven.»
     
    Clem drehte sich um und betrachtete noch einmal die kaputte Bühne. «Ich begreife es immer noch nicht», sagte er. «Hattet ihr einen Streit?»
    «Gewissermaßen», antwortete Rhonda, die nicht zugeben wollte, dass sie eigentlich keine Ahnung hatte, warum sie die Bühne niedergerissen hatten, außer weil Peter es so wollte.
    «Ich finde es nur einfach sehr schade», meinte Clem. Über ihnen flatterte die Piratenflagge im Wind. Der gemalte Totenkopf war das einzige nicht zerstörte Requisit.
    «Ich habe nachgedacht», sagte Rhonda, die gerne das Thema wechseln wollte. «Peter ist 1979 zur Welt gekommen.»
    Clems Kiefer spannte sich. Rhondas Vater packte das rissige Steuerrad und starrte nach vorn in den Wald, als stelle er sich eine unsichtbare Straße vor. «Ja, das stimmt.»
    «Das heißt doch, dass Peter dein Sohn ist, oder? Und mein Bruder.» Die Worte fühlten sich bitter an in ihrem Mund: «Sohn», «Bruder».
    Clem schloss die Augen und schüttelte den Kopf. «Nein. Er ist Daniels Sohn. Das sieht man doch, oder? Er ist seinem Dad wie aus dem Gesicht geschnitten.»
    «Aber wenn du und Aggie, wenn ihr beide verheiratet wart   …» Sie klappte das Handschuhfach auf und fand nur ein Gewirr von Draht und die zerknabberten Blätter eines verlassenen Mäusenests.
    Clem seufzte. Und in seine Augen trat der abwesende Blick, den er immer bekam, bevor er eine seiner Geschichten erzählte.
    «Ich erinnere mich, wie ich vor dem Fenster zur Säuglingsstation stand und stolz allen Schwestern, Besuchern und Vorübergehenden meinen Sohn zeigte. Meinen Peter. Meinen am Nationalfeiertag geborenen Jungen, von Geburt an ein toller Amerikaner.»
    Clem spielte mit der Gangschaltung an der Lenkradsäule und drückte das Gaspedal mit dem Fuß durch. DasPedal quietschte aber nur protestierend und erinnerte sie daran, dass dieser Wagen nirgends mehr hinfuhr.
    «Genau ein Jahr später habe ich dann die Wahrheit herausgefunden», fuhr Clem fort. «An Peters erstem Geburtstag. Wir feierten hinten im Garten eine kleine Party mit Daniel. Er hatte rot-weiß-blaue Hüte, Fähnchen und Wunderkerzen mitgebracht. Ich ging nach drinnen, um den Kleinen ins Bett zu bringen, hatte aber seine Decke vergessen. Es war Peters Schmusedecke, ohne die er nicht einschlafen konnte. Als ich dann in den Garten kam, um die Decke zu holen, sah ich die beiden: Daniel und Aggie. Sie waren   …» Er räusperte sich. Rhonda nickte und versuchte, sich die Szene vorzustellen – alle waren so jung gewesen, ihr Vater war mit Aggie verheiratet und glaubte, sie hätten ein gemeinsames Kind; bis zu diesem Moment hatte er sein Leben für vollkommen gehalten.
    «Als ich an diesem Abend aus der Hintertür in den Garten trat, war es, als zerplatzte etwas in meinem Kopf; es war wie eine kleine Explosion von weißem Licht, die alles andere auslöscht.»
    Rhonda nickte. So ungefähr hatte es sich angefühlt, als sie die Bühne abrissen; als wäre alles, was sie kannte und verstand, irgendwie vorüber.
    «In diesem Moment begriff ich, dass Peter Daniels Sohn ist. Ich denke, irgendetwas in mir muss es schon immer gewusst haben, von Anfang an. Aber diesen Teil meiner selbst hatte ich verdrängt. Wir glauben, was wir glauben wollen, Ronnie; selbst wenn wir die Wahrheit direkt vor den Augen haben.»

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    18.   Juni 2006
    «Manchmal denkt man sich eine Lüge aus, und die wird dann wie ein sicheres, kleines Haus, in dem man lebt», sagte Warren. «Aber es ist in Wirklichkeit gar nicht sicher. Das Fundament ist schlecht, es zerbröckelt, und alle, die du zu dir einlädst, geraten ebenfalls in Gefahr.»
    Rhonda biss sich auf die Lippen, trat einen Schritt zurück und zwang sich, nicht zu weinen. Um ein Uhr morgens stand sie neben Crowley und hörte Warrens Geständnis vor dem Hintergrund piepsender Monitore und der Geräusche einer Sprechanlage, mit der nach Ärzten gerufen wurde. Warren hatte sich die Sauerstoffmaske vom Gesicht gezogen, die nun zischend neben seinem Kinn lag und in Rhondas Ohren die Warnung zu flüstern schien:
Hör nicht hin. Das alles stimmt

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