Die Insel der Verlorenen - Roman
Revolutionäre lauern Ihnen aus dem Hinterhalt auf, was noch schlimmer ist. Die bringen Sie um und verschleppen die kleinen Waisenkinder.«
Arnaud glaubte ihm kein Wort. Er wollte einfach nicht hören, was Mayorga da erzählte, aber das Gegenteil konnte er ihm schließlich auch nicht beweisen. Es war, als käme der Kapitän aus einer anderen Zeit, aus der Zukunft, und würde von einem Planeten reden, den Ramón nicht kannte.
Kaum hatten sie drei Tage später mexikanischen Boden betreten, da erfuhren sie auf einen einzigen Schlag, dass Oberst Avalos, Ramóns Freund und Fürsprecher, weder ihr Ansprechpartner für Clipperton geblieben war noch sich überhaupt in Acapulco aufhielt, dass Doña Petra, Alicias Mutter, verstorben war und ihr Vater, Don Félix Rovira, Orizaba verlassen hatte und jetzt im Hafen Salina Cruz lebte, wo er einen hohen Posten in der Brauerei Moctezuma bekleidete.
Die letzte war die einzig gute Nachricht, dass man ohne Probleme über den Seeweg von Acapulco nach Salina Cruz kommen konnte, wo sie Don Félix auch tatsächlich fanden. Überrascht stellten sie seine Verwandlung fest, er war verjüngt, enthusiastisch, im zweiten Frühling, trug Anzug und Schuhe in Weiß und einen Hut nach Matrosenart. Er setzte sich ein Enkelkind auf jedes Knie, rauchte mit der einen Hand seine Pfeife und streichelte mit der anderen Alicia übers Haar, sprach mit Inbrunst von der Demokratie und von Francisco Madero, den er in Orizaba auf einer Großdemonstration seiner Anhänger persönlich kennen gelernt hatte.
»Ich will dir nicht zu nahe treten, Ramón, schließlich weiß ich ja, wie sehr du Porfirio Díaz geschätzt hast«, wandte sich Don Félix an den Schwiegersohn. »Aber, wenn wir ehrlich sind, war er ein riesengroßer Verbrecher. Ich glaube wirklich, dass wir jetzt in guten Händen sind.«
»Ich bin kein Politiker, Schwiegervater«, gab Ramón zurück. »Ich bin Militär, und ich bin für den, der für die Bundesarmee ist.«
Alicia und die Kinder blieben bei Don Félix in Salina Cruz, während Ramón eine aufreibende Pilgerschaft in die Hauptstadt unternahm, um sich über sein Schicksal und das seiner Insel Gewissheit zu verschaffen. Die Insel war eine alte Sache, die zur alten Regierung gehörte. In den Behörden Mexikos erinnerte sich niemand daran und es kümmerte auch niemanden. Daher musste er über Monate in hundert Wartesälen schlafen, hundert Beamten seinen Fall darlegen, hundert Ersuchen unterschreiben, sich mit hundert Bürokraten herumstreiten.
Indessen überstürzten sich die Dinge im Land, kamen jäh zum Erliegen, preschten dann wieder ungestüm vor, fanden ihre Bestimmung, verloren sie, fanden sie wieder und verloren sie aufs Neue, abhängig vom Rhythmus, mit dem im Norden Pancho Villa und seine goldenen Krieger herbeistürmten, mit dem im Süden Emiliano Zapata und seine landlosen Bauern an Boden gewannen, mit dem sich in der Hauptstadt General Victoriano Huerta und seine Loge aus Verrätern anpirschten.
Ramón, ein Mann mit fixen Ideen und festen Grundsätzen, war zu sehr mit seinem eigenen Problem beschäftigt, um den Sturm der Ereignisse, der um ihn tobte, wirklich wahrzunehmen. Nach endlosen Kämpfen gelang es ihm endlich, in irgendeinem Archiv, unter einer dicken Staubschicht, ein paar Papiere zu finden, die ihn betrafen. Es handelte sich um eine von Porfirio Díaz einige Jahre vor seiner Flucht aus Mexiko unterzeichnete Urkunde, die besagte, dass die französische Regierung und die mexikanische Regierung – auf Ersuchen letzterer – den italienischen König Víctor Manuel III, um einen Schiedsspruch in ihrem Hoheitsstreit um die Insel Clipperton gebeten hätten, und sich feierlich dazu verpflichteten, dessen Beschluss anzuerkennen.
Mit diesem Dokument in der Hand bekam Arnaud endlich ein Gespräch mit dem Kriegs- und Marineminister der Regierung Madero, der ihm alle nötigen Genehmigungen unterschrieb, damit er seinen Auftrag fortsetzen und weiter mit der logistischen Unterstützung der Versorgungsschiffe aus Acapulco rechnen konnte.
Indessen näherte sich Alicias dritte Schwangerschaft ihrem Ende, so dass sie mit Don Félix und den beiden Kindern nach Mexiko-Stadt zu Ramón zog. Sie mieteten drei große, bequeme Zimmer in einem Hotel des Zentrums, dem San Agustín. Für ihre privaten Dienste stellten sie eins von den Zimmermädchen des Hotels ein, eine gewisse Altagracia Quiroz. Sie war im Grunde noch ein Kind, 14 Jahre alt, gebürtig in Yautepec, Morelos, und war durch die
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