Die Insel der Verlorenen - Roman
Deutscher.«
»Das ist doch dasselbe, oder?«
»Egal. Aber was versteht dieser Deutsche schon von Orkanen«, brummte Arnaud missmutig und im selben Moment begann sich eine feine Linie, struppig und nebulös, ganz knapp über der Wasseroberfläche am Horizont abzuzeichnen. Weder Hauptmann Arnaud noch Leutnant Cardona bemerkten sie.
BiskurzvorMittagbemühtensiesich,dieTrägheitunddieSchwere,diesiebefallenhatten,zuüberwindenundihremgewohntenTagwerknachzugehen.Wosieauchhinkamen,überallwarendieLeuteapathisch:DieKinderschwiegen,dieFrauenwarenuntätigundabwesend,dieSoldatenverlangsamtundübellaunig.HierunddalagensogardieHaustiereermattetaufdemBoden,alshättensiesicheinfachsofallenlassen.
Ramón Arnaud sah sich um und sagte zu Cardona:
»Und die Landkrabben? Und die Basstölpel? Die muss man doch sonst immer verscheuchen, aber heute habe ich noch keine zu Gesicht bekommen.«
Obwohl der Vormittag bereits verstrichen war, tagte es immer noch nicht richtig. Ein künstliches Licht sickerte zaghaft vom Himmel, schaffte es aber nicht, die Dunkelheit zu überwinden, vielmehr schien die Sonne in ihrer Position festzustecken und schluckte die Minuten, so dass die Zeit stillstand.
Arnaud ging zum Laden mit den Vorräten und verlangte ein paar Lebensmittelpakete. Ohne die geringste Dringlichkeit in der Stimme, als handle es sich um ein beiläufiges Gespräch, gab er dann Leutnant Cardona Anweisung:
»Sorg dafür, dass alle Frauen und Kinder zum Gemüsegarten kommen, da sollen sie warten, ohne auseinanderzulaufen, bis wir Bescheid wissen, was hier eigentlich los ist. Und zählt sie durch, es darf keiner fehlen. Was glaubst du, wo die Leute am sichersten sind, im Guano-Schuppen am Kai, nicht wahr?«
»Richtig«, erwiderte Cardona, das »r« mit soldatischem Eifer betonend. »Das ist das stabilste Gebäude hier.«
»Genau, außerdem steht es auf Pfeilern, so dass keine zehn Pferde es wegkriegen, wenn die Insel überflutet wird. Kümmere dich darum, dass die Lebensmittel und ein paar Fässer Trinkwasser hingeschafft werden, und bringt auch die Haustiere dort in Sicherheit.«
»Jedes Schaf mit seinem Bock, wie in der Arche Noah«, sagte der Leutnant und grinste gespannt wie ein Kind, das es nicht erwarten kann, bis das Chaos losbricht.
Während Cardona und die Soldaten Schweine, Hühner und Hunde in ein improvisiertes Gehege innerhalb des Lagerschuppens sperrten, ging Arnaud zum Leuchtturm, um mit dem Wärter, dem schwarzen Victoriano Álvarez, zu sprechen.
»Zünden Sie das Leuchtfeuer an, Victoriano«, befahl er ihm, »und lassen Sie es nicht ausgehen, komme, was da wolle. Wenn die Lage kritisch wird, dann klammern Sie sich am Felsen fest, aber tun Sie alles, damit die Flamme nicht erlischt.«
Ramón Arnaud erreichte Cardona und die anderen Männer gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie plötzlich eine Windböe in die Palmen fuhr und sich die Stämme fast rechtwinklig bogen, während die Baumkronen umgestülpt und nach oben gezerrt wurden, wie eine Gruppe junger Frauen, denen jemand an den Haaren riss.
»Seht doch! Der Orkan!«, schrie Cardona und zeigte in die Richtung. »Er ist schon im Anmarsch!«
»Soll er doch, wenn er will«, bemerkte Arnaud. »Was passieren muss, soll endlich passieren, lieber jetzt gleich, diese Windstille macht einen doch völlig verrückt.«
Der Windstoß ließ nach und die Palmen nahmen wieder Haltung an, aber der dunkle Streifen, der gerade noch am Horizont haltgemacht hatte, legte in wenigen Augenblicken die Hälfte der Strecke zurück, die ihn noch von Clipperton trennte, so dass seine fliehende Aureole aus Blättern und in der Luft herumgewirbelten Gegenständen zu sehen war.
»Es wird Zeit, dass Frauen und Kinder in den Schuppen gehen«, schrie Arnaud. »Sie dürfen erst wieder herauskommen, wenn sich der Sturm gelegt hat.«
Als hätte Arnaud ihn durch seine Benennung heraufbeschworen, fiel der Sturm wenige Augenblicke darauf mit Macht über sie her. Er brach mit einer Gewalt über sie herein, die sie überraschte, auch wenn sie eigentlich nichts anderes erwartet hatten.
Ramón stand am Eingang des Guano-Schuppens – den Schultz in den goldenen Zeiten der Gesellschaft mit großer Sorgfalt gebaut hatte – und half den Frauen, mit den Kindern an den Rockschößen hinein, die außerdem schwer bepackt waren mit Körben voller Decken, Tüchern, Skapulieren, Heiligenbildchen, Töpfen, Strohmatten und allem anderen, was es zu retten galt.
Mitten im Gedränge sah Ramón, wie sich seine
Weitere Kostenlose Bücher