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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Stelle senkrechte Berge aus festem Wasser, die auf die Insel zustürzten und sie zu verschlingen drohten. Er bemerkte, dass die Hitze, die ihn den ganzen Vormittag gepeinigt hatte, verschwunden war, denn an ihrer Stelle fuhren eisige Windböen durch seine durchnässten Kleider und ließen ihn bis in die Knochen erschauern.
    »Ich muss irgendwie hier weg«, dachte er, »hier werde ich ertrinken, erfrieren, sterben. Ich muss was unternehmen, so kommen wir jedenfalls nicht lebend davon. Wo sind denn die anderen? Wo ist der Deutsche, den könnte ich fragen, was wir tun sollen.«
    Er beschloss, seiner offenen Stirn noch ein paar Minuten Erholung zu gönnen, da sah er undeutlich einen großen Gegenstand mit einem verstimmten Ton in der Luft auf ihn zufliegen.
    »Das Pianola!«, sagte sich Ramón. »Meine ganze Einrichtung muss aus dem Fenster geweht worden sein.«
    Dieses schlechte Omen weckte in ihm die nötigen Kräfte, um auf die Füße zu kommen. Als Erstes näherte er sich dem Schuppen, wo Frauen und Kinder untergebracht waren, und war erleichtert als er sah, dass er den Angriffen des Orkans eisern trotzte. Von der Anstrengung beim Hochkommen war ihm übel geworden, trotzdem setzte er alles dran, es bis zu seinem Haus zu schaffen, wo er vorhatte, Türen und Fenster zu verrammeln.
    Er ging, die Hände in die Felsen gekrallt, in die Stämme der Palmen, in alles, was er greifen konnte, um vorwärts zu kommen. Sein Körper fühlte sich an wie ein Sack Steine, die Wunde an der Stirn pochte wie ein Chronometer und der Wind, der ihm das Hemd zerfetzt hatte, riss es ihm jetzt gänzlich vom Leib. Für jeden eroberten Meter brauchte er eine halbe Ewigkeit.
    Es gelang ihm, sich bis zu einer Stelle vorzukämpfen, von der aus er sein Haus sehen konnte, und in diesem Moment erkannte er das wahre Ausmaß der Katastrophe. Augenblicklich ließ er die Idee fallen, Türen und Fenster dicht machen zu wollen, und er spürte sogar mit einem Stich Scham über dieses lächerliche Vorhaben, als er bemerkte, dass der Wirbelsturm von oben in sein Haus fuhr, das er vollständig abgedeckt hatte.
    Alles Mögliche kam da oben herausgeflogen, als würde ein Trupp Wahnsinniger wütend seine ganze Einrichtung in die Luft schleudern. Ramón beobachtete resigniert, wie lieb gewonnene Besitztümer, eins nach dem anderen, davonflogen, und als er dann auch noch seine Aufzeichnungen und seine Bücher Kapriolen schlagen und wie Papierschlangen gen Himmel flattern sah, da überkam ihn Bitterkeit.
    »Hier ist nichts mehr zu retten«, dachte er. »Ich muss die anderen suchen.«
    Er sah sich nach allen Richtungen um, ohne die geringste Ahnung, wo er sie finden konnte. Da flammte mitten in der Katastrophe, die ihn umgab, das Leuchtfeuer am Südfelsen auf.
    »Wahrscheinlich sind sie dort«, dachte er. »Sie haben bestimmt im Haus des Leuchtturmwärters Unterschlupf gefunden.«
    Vom Licht geleitet, versuchte er die Richtung zu halten. Er schrie sich die Kehle wund, aber keiner hörte ihn. Der Sturm blies ihm Sand in die Augen, und die Wirbel zerrten ihn wie eine willenlose Strohpuppe von einer Seite zur anderen. Am Kopf schwer verletzt, wurde er jetzt auch noch von oben bis unten durchgeprügelt. Das Schlimmste aber war, dass er mutterseelenallein war, isoliert von seinen Leuten. Das nahm Ramón Arnaud persönlich und fühlte sich in der Tiefe seiner Seele missachtet.
    Er war schon kurz davor, aufzugeben, da regte sich in ihm ein Aufbegehren gegen diese geballte Demütigung. Eine Welle des Zorns durchströmte ihn, wärmte ihm das Blut und gab ihm die Gewalt über den eigenen Körper zurück. Er richtete sich auf, wandte das Gesicht dem Sturm entgegen, zog den Gürtel aus dem Hosenbund und begann damit wie wild in die Luft zu peitschen, schäumend vor Wut, wie ein Besessener. Er schlug wirr um sich, nach links und nach rechts und brüllte den Orkan dabei mit aller Kraft an:
    »Verflucht sollst du sein, du Arschloch! Was hast du eigentlich gegen mich? Hä? Was willst du denn von mir? Dass ich dich totpeitsche? Ich gebe dir noch fünf Minuten, du beschissene Missgeburt, ich gebe dir fünf Minuten, damit du dich verpisst! Verstanden?«
    Haushohe Brecher mit schäumenden Kämmen krachten auf Clipperton zusammen, wälzten sich über die Insel und vereinten sich auf der anderen Seite wieder mit dem Meer, ohne sich im Rausch ihrer rasanten Fahrt über den Ozean auch nur im Geringsten von dem nichtigen Hindernis dieser Insel stören zu lassen.
    Ramón Arnaud schimpfte

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