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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Frau und seine Kinder näherten. Ramoncito lief auf ihn zu, die runden Augen weit aufgerissen und mit Wasserperlen auf den Wimpern. Ramón nahm ihn auf den Arm und drückte die jungen Knochen, die zart und zerbrechlich waren wie bei einem Huhn, fest an sich.
    »Papa«,schriederJungeihminsOhr,»diegeflügeltenPferdesinddurchgedrehtundgaloppierenjetztüberdenHimmel.«
    »Wer hat dir denn das erzählt?«
    »Doña Juana hat es mir erzählt, und es stimmt.«
    Alicia klebte das nasse Haar im Gesicht und am Körper. In einem Arm hielt sie die neugeborene Olga, mit der anderen Hand zerrte sie eine große Truhe hinter sich her, unterstützt von Altagracia Quiroz, die von hinten schob.
    Ramón setzte auf der Stelle seinen Sohn ab und hob die Truhe auf.
    »In den unpassendsten Momenten hast du die verrücktesten Einfälle«, tadelte er Alicia, aber sie konnte kein Wort verstehen.
    »Was hast du gesagt?«
    »Was zum Teufel schleppst du da mit?«
    »Mein Hochzeitskleid, meine gute Garderobe und meinen Schmuck«, schrie Alicia zurück.
    »Wozu brauchst du das denn jetzt?«
    »Das Einzige, was mir noch gefehlt hat, ist, dass mir der Orkan das wegweht«, erwiderte sie, ohne die Stimme zu erheben und eher zu sich selbst als an Ramón gewandt.
    Er setzte die Truhe im Schuppen ab und lief rasch wieder hinaus, um einer Frau aufzuhelfen, die der Sturm in einen der Sturzbäche gestoßen hatte, die bereits die Insel durchzogen. Er wusste nicht, wie und wo er die Frau anfassen sollte, die sich als glitschige, weiche Masse an seine Beine klammerte, damit er nicht auch das Gleichgewicht verlor, aber schließlich bekam er sie zu fassen und konnte sie durch den Schlamm unter das Dach ziehen und ins Trockene bringen. Dabei warf Arnaud einen Blick in die Tiefe des Schuppens und erkannte im Halbdunkel, mitten im aufgeregten Gewühl die Umrisse von Alicia, die das Baby gerade in eine der dort abgestellten Loren legte.
    Arnaud schnürte es die Kehle zusammen und er musste an sich halten, um nicht hinzugehen und ihr zu helfen, ihr mit einem Handtuch das Haar zu trocknen und zu sagen: »Mach dir keine Sorgen, es passiert schon nichts.« Oder eigentlich, um sie zu bitten, dass sie ihm was Trockenes zum Anziehen gab und sie sagen zu hören: »Mach dir keine Sorgen, es passiert schon nichts«, sich dann in ihrem Schoß zu verkriechen, stillzuhalten und einfach, in Sicherheit vor dem Wind und der unlösbaren Lage, in der sie sich befanden, abzuwarten.
    »Was ich tun muss, ist meine Männer suchen«, dachte er, wie aus einem Traum erwachend, und machte Alicia ein Handzeichen, das sie nicht sah.
    Er ging seine Pflicht erfüllen und entfernte sich vom Schuppen, indem er sich an den Wänden der Nachbarhäuser entlanghangelte, ohne eigentlich zu wissen, welche Richtung er einschlagen sollte. Er bot sämtliche körperlichen und mentalen Kräfte auf, um sich nicht von den Elementen mitreißen zu lassen, als mit dem Orkan ein spitzer Gegenstand, wie ein Geschoss, auf ihn zugeflogen kam, ihn an der Stirn traf und umwarf, so dass er auf den Rücken fiel. Er blieb einfach liegen, die Augen blind, das Gemüt vereinnahmt von einem brennenden Schmerz, der sich bis in die letzten Windungen seines Gehirns fortsetzte. Nachdem er eine Weile mit leerem Kopf auf dem Boden gelegen hatte, galt der erste klare Gedanke, den er fassen konnte, Gustavo Schultz.
    »Wo steckt eigentlich der Deutsche«, dachte er, »der kann mir bestimmt sagen, wann das hier wieder vorbei ist.«
    Er versuchte sich aufzurichten, aber seine Wunde fing dabei so entsetzlich an zu schmerzen, dass es ihm nicht gelang.
    Er fühlte das warme Sickern seines Blutes, das ihm ins rechte Auge lief und von dort zäh auf den Boden troff. Er schleppte sich mühsam zur nächsten Mauer und blieb in ihrem Schutz liegen, beobachtete, wie sich die Welt veränderte und sich alles um ihn herum verdüsterte.
    Er sah am dunklen Himmel einen pausierenden Lichtpunkt und wusste, dass das Victoriano war, der Schwarze, der seinen Dienst im Leuchtturm tat. Er sah die Wolken im rasanten Flug über den Himmel jagen, eine nach der anderen zerfetzt und zerfleddert. Er sah neben sich einen im Boden verankerten Pfosten, der unter dem Anprall des Sturms kräftig bebte, jedoch standhielt, als ihn der Orkan mit Stumpf und Stiel ausreißen wollte. Er sah Zinkbleche, Stühle, Bretter in schwindelerregendem Tempo vorbeischießen, um irgendwo hinter ihm zu zerschellen. Er wandte den benommenen Kopf langsam in Richtung Meer und sah an dessen

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